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Irrwege der Medizin und ihre Korrektur


ein neues ärztliches Vergütungsmodell



Krankheiten sind biopsychosozial, alle. Alle Bemühungen der Heilung einer Krankheit umfassen diese Aspekte. Die soziale Markwirtschaft bemüht sich um den Ausgleich von Arm und Reich. Auf sozialer Ebene bemüht man sich um eine gute Kinderversorgung, um das Auffangen der zu kurz Gekommenen, um die Pflege der Alten usw.

Auf der psychischen Ebene arbeiten die ambulanten Psychotherapeuten und die psychotherapeutisch orientierten Kliniken. Auf der somatischen Ebene existiert die Medizin mit ihren tausend Möglichkeiten. Da es eine ideale Gesellschaft nicht gibt, sind Defizite in allen Bereichen normal. Sie bedürfen der permanenten Korrektur, die Reform ist der Normalfall. Besonders Auswüchse - in welche Richtung auch immer - bedürfen dringend einer Korrektur. „Irrwege der Medizin“ soll diese Defizite aufzeigen. Die Medizin befindet sich auf einem Irrweg, wenn sie die psychosozialen Aspekte von Krankheit außen vor lässt. Diese Aspekte einer Krankheit außen vor zu lassen ist ein Kunstfehler.

Die Plazeboforschung gibt ernste Hinweise, wie wichtig diese psychosozialen Aspekte sind für den Krankheitsverlauf. Anstelle solcher psychosozialer Bemühungen, die vielen Ärzten als fremd erscheinen, ist ein Eifer der somatischen Bewältigung von Krankheit auszumachen. Großes Interesse hieran haben die Pharmaindustrie und die Geräteindustrie. Mit ihrer Macht und Lobbyarbeit wird die ärztliche Arbeit im ambulanten und stationären Bereich über Medien, Referenten, Leitlinien, Qualitätsrichtlinien etc. etc. gut gesteuert, den beteiligten Ärzten wird das wegen der fehlenden Transparenz eher nicht bewusst. Viele Handlungen unterliegen einem Trend, einer Mode, die jedoch oft an der wirklichen Effizienz vorbei geht.

Gebührenordnungen haben es nicht geschafft, dem Arzt die Arbeit zu bezahlen, wenn er die psychosozialen Aspekte ausreichend einbezieht. Die bestehenden Gebührenordnungen resultieren aus einem anderen Geist. Das Medizinwesen ist in weiten Teilen ein Selbstläufer, schafft sich selbst die Nachfrage durch übertriebene Screeningprogramme und Empfehlungen, durch medikamentöse Übertherapie, durch übertriebene somatische Abklärung, durch fragwürdige Therapieansätze der Hoffnung und ist belastet durch immer aufwendigere Dokumentationen, die vom Wesentlichen ablenken. Der auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Arzt, der vorsichtig mit den Ressourcen der Diagnostik und Therapie umgeht und Risiken meidet, wird mehrfach abgestraft: da er sich an das Wirtschaftlichkeitsgebot hält, geht er ein erhöhtes Haftpflichtrisiko ein, Wichtiges zu versäumen: Da er dem Patienten nicht das so genannte Beste und Teuerste verschreibt, ist er tendenziell unmodern, außerdem wird seine Arbeit von den Kassen nicht ausreichend honoriert. Der auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Arzt verweigert sich der Haltung, ein Anbieter von medizinischer Dienstleistung oder von kaufbarer Gesundheitsleistung zu sein.

Der Arztberuf ist per se kein Dienstleisterberuf. Der hippokratische Eid weist in eine andere Richtung, die auch Paracelsus gegangen ist. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist ureigen. Die sich hieraus ergebenden Notwendigkeiten sind das Maß aller Dinge, denen auch das ausreichende Honorar folgen muss. Wenn jedoch die sich aus dem Vertrauensverhältnis ergebenden Notwendigkeiten direkt oder indirekt unter der Kontrolle von Körperschaften oder Behörden stehen, die dem Arzt mit Leitlinien, Disease Management Programmen usw. hineinreden und ihn gegebenenfalls abstrafen - zum Beispiel per Honorarminderung, dann wird der Arzt zu einem Dienstleister umerzogen, der das eigene Überleben „Honorar“ im Kopf hat und sich opportunistisch anpasst, den Patienten nicht mehr richtig wahr nimmt, nur noch seinen Job macht oder im Hamsterrad sitzt. Wenn die sich aus dem ureigenen Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ergebenden Notwendigkeiten - Anamnese, Diagnostik und Therapie - geschehen und anständig bezahlt werden, resultiert keine Verbiegung des Arztes zum Kaufmann oder Dienstleister, der Angst hat, nicht leitliniengerecht zu behandeln, obwohl er mehr weiß, als Leitlinien zu sagen haben. Leitlinien entstehen in der Regel ohne ausreichende Einbeziehung der psychosozialen Aspekte, sie sind zu wenig ganzheitlich ausgerichtet, beziehen zum Beispiel auch die seriösen klassischen Naturheilverfahren nicht ein und bringen so die Gefahr iatrogener Medizin.

Die Korrektur besteht darin, dem Arzt und dem Patienten die Zeit zurückzugeben durch die Bezahlung eben dieser Zeit. Ein Arzt, der Zeit hat, ist ein guter Arzt, das regelt sich von selbst. Der beste Lehrmeister für den Arzt ist der Patient. Ein Arzt, der viel Zeit hat für die Begegnung, lernt viel, aktiviert erhebliche Ressourcen beim Patienten, bringt diesem Mündigkeit und entlastet sich selbst vor Überarbeitung. Wir Deutschen müssen doch nicht denken, dass wir die Griechen überholen können bei der Lebenserwartung. Das Gesundheitswesen dort hat bei weitem nicht unseren Standard, aber was nutzt es uns, wir sterben früher. Ich propagiere eine Zeitbezahlung des Arztes ohne Vorbehalt. Eine entsprechende Gebührenordnung ist einfach und zeigt einen Höchstgrad an Gerechtigkeit. Sie ist im Folgenden aufgeführt.

Vorschlag:

Die Größe, die zur Findung einer angemessenen Bezahlung die Hauptrolle spielen sollte, ist das Arzthonorar für die ärztliche Arbeitszeit mit dem Patienten einschließlich Dokumentation.

Wie hoch der reine „Arztlohn" ist, wird festgelegt. Wer mehr arbeitet, verdient mehr, wer weniger arbeitet, weniger. Ein zweiter Faktor sind die Praxiskosten. Das Arzthonorar (l.) und die Praxiskosten (2.) werden gesondert betrachtet:

Zu l.
Vorgeschlagen werden 2 Gebührenpositionen für den Arzt-Patientenkontakt:
„Befragung/Untersuchung/Erörterung und/oder Behandlung sowie Dokumentation: l für bis zu 5 Minuten Arbeitszeit, 2 für je 10 Min. Arbeitszeit. Die Positionen können beliebig kombiniert werden bis zu einer Stunde Arbeitszeit. Beispiele: bei 5 Min.: l; bei 20 Min.: 2,2;
bei 25 Min.: 2,2,1; bei 35 Min.: 2,2,2,1; bei 50 Min.: 2,2,2,2,2; usw.
(Falls datentechnisch auswertbar, könnte auch die ungefähre Zeit direkt in den Abrechnungsschein eingegeben werden ohne solche Einzelpositionen, das ist unerheblich)
Ein Blick auf die „große" Uhr im Sprechzimmer genügt, um die Zeit in etwa einzuschätzen.
Die Summe im Quartal ergibt die Quartalsarbeitszeit, die der Arzt mit der KV oder einer Ärztevereinigung bezogen auf Zahl der Fälle, Patient und Diagnose abrechnet.

Die Kassenärztliche Vereinigung oder eine andere entsprechende Ärztevereinigung behält sich eine Kontrolle und Korrektur der abrechenbaren Arbeitszeit vor. Bei Implausibilität von Diagnose und Abrechnungszeit sowie Fallzahl und Gesamtarbeitszeit im Quartal muss der Arzt die wirkliche Arbeitszeit belegen. Es ist davon auszugehen, dass die wöchentlichen Arbeitszeiten oder Jahresarbeitszeiten sehr unterschiedlich sind.

Zu 2.
Dem Arzt werden die nachgewiesenen Praxiskosten nach Offenlegung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) oder der Ärztevereinigung erstattet. Die Höhe der Erstattung berücksichtigt die Zahl der abgerechneten Fälle, Besonderheiten der Praxis und steht in Abwägung zur Erstattung bei allen hausärztlichen Kollegen. Basis der Erstattung sind die Durchschnittskosten der letzten 5 Jahre.
Veränderungen in der Erstattung bei Veränderungen der tatsächlichen Praxiskosten erfolgen in Absprache mit der KV oder der Ärztevereinigung. Abweichend hiervon könnten die Praxiskosten arztindividuell nach einem Rechnungsschlüssel in Pauschalen gelegt werden und der Arbeitszeit zugeschlagen werden, dieses gilt insbesondere für Technikleistungen, wo der Anteil der Arztzeit gering ist.


Autor: Wilhelm Breitenbürger





Kommentare zu dieser News:

Datum: Fr 08 Mai 2009 11:28
Von: Der Landarsch


Bereits 1998 hat mir ein Patient aus den USA genau eine solche Rechung mitgebracht (ich hab sie noch, wer eine Kopie haben will: der-landarsch@online.de).

Hier wurde:
1. Der Arzt wird 6 Zeitstufen (von 2 Min. bis 1½ Stunden geteilten) (+ 1 offene Zeitangabe für Anästhesisten) bezahlt. Dabei wurde in zwei Schwierigkeitsgraden unterschieden: "neuer Patient" und "bekannter Patient"

2. die Helferinnenarbeit in 6 Zeitstufen (2 Min. bis 1 Stunde) bezahlt

3. für alle technischen Leistungen und Labor Betriebskosten-Gebühren erhoben.

Schluss, das war's, "Bierdeckelrechnung"!

In den Zeitstufen der Ärzte wird nicht unterschieden (und unterschiedlich bezahlt!) was in dieser Zeit getan wird, ob Untersuchung, Beratung, medizinische Therapie oder psychotherapeutische Leistung, ob Fahrtzeiten für Hausbesuch oder (notwendige) Wartezeit auf Kliniktransport: der Arzt stellt seine - qualifizierte - Zeit zur Verfügung und erhält dafür ein (Zeit-)Hornorar.

Ebenso die Schwestern, wobei die Helferinnenzeit von Aufnahmeschwester, Laborantin, Röntgenassistentin etc gleichwertig zusammenaddiert werden.

Die Betriebskosten sind vorgegeben (und wurden wohl betriebswirtschaftlich ermittelt)

Hier ist der Arzt nicht mehr gezwungen, unnötige, aber gut bezahlte Leistungen zu erbringen und abzurechnen um schlecht- oder nicht bezahlte Leistungen zu subventionieren!

Es ist das Risiko des Patienen wie lange er den Arzt benötigt, nicht mehr Risiko des Arztes, wofür und wie lange er in Anspruch genommen wird.

Diese Abrechnungssystem wäre problemlos auch in Deutschland einzuführen, wobei für Kassenpatienten ein "Kassenpatienten-Stundenhonorar" festgelegt wird und für Privatpatienten (analog dem Multiplikator der GOÄ) ein gesetzlicher Rahmen (mit Abdingmöglichkeit, allerdings hier für Qualifikation, nicht mehr für Schwierigkeit!) eingeführt wird.

Für die Betriebskosten der Kassenpatienten müsste eine "Kassen-Ausstattungsrahmen" definiert werden, der dann - praxisindividuell - bezahlt wird. Für Privatpatienten ist der Arzt frei in der Bereitstellung von Geräten.

Diese Abrechnungsform habe ich seit 20 Jahren - auch in berufspolitischen Diskussionen - immer befürwortet, sie wurde von zumeist den Kollegen abgelehnt, die
- ständig versuchen über die "Einzelleistung" "ein bisschen mehr zu machen" (wie beim Metzger).
- meinen, über Pauschalierungen weniger tun zu müssen.
- und auch die Kassen und Politik meinen, über Pauschalierungen könne man die Ärzte zu "sparsamerem" Verhalten drängen.

Das ist ein Irrglauben! Letztendlich bestimmt immer der Patient. Die Frage ist vielmehr: wer trägt dafür das Risiko!

Datum: So 16 Aug 2009 23:42
Von: patientin


Das ist zwar hier die Seite für Ärzte, ich schreib aber trotzdem mal als Patientin dazu. Weil Ihre Ausführungen sehr interessant sind. Warum wird so was nicht aufgegriffen?
Schicken sie doch einfach all die nutzlosen, überflüssigen Verbände, Körperschaften usw. in die Wüste.
Als ich Kind war (inzwischen in der Rente angekommen) hatten wir unseren Hausarzt, zu dem ging man hin oder der kam zum Hausbesuch, wenn man krank war. Dann wollte der erst mal die Zunge sehen, hat in die Augen geguckt, hier oder dort auf dem Bauch rumgedrückt. An solche Dinge kann ich mich erinnern. Der hatte kein EKG, Ultraschall, Röntgengerät und all so was. Aber der hat uns wieder gesund gemacht!
Wie haben die damals nur arbeiten können, ohne all die Supertechnik, die tollen neuen Medikamente?
Hat das alles was mit dem zu tun, was Sie als biopsychosozial bezeichnen?
Komme ich heute zu einem Arzt, anfassen, einen Patienten anfassen, wo gibt es das heute noch? Im Höchstfalle mit Hilfe von Geräten und das macht dann auch noch die Schwester.
Gut, ich weiß, das ist alles sehr laienhaft. Und trotzdem, manchmal wünsche ich mir, ich könnte mich zu unserem alten Hausarzt wieder in das überfüllte Wartezimmer setzen.
Gruß, patientin