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Arbeiten in der Reha: Arzt light?
„Geh’ doch als Arzt in die Reha, da hast Du einen ruhigen Job“, habe ich schon oft gehört. Für meine Weiterbildung zum Hausarzt hat’s gerade gut gepasst, hier eine gewisse Zeit zu verbringen und meine Kenntnisse in nicht-operativer Orthopädie und Rheumatologie zu vertiefen. Ehrlich gesagt, ich hatte, wie wohl die meisten Ärzte und bestimmt auch viele Patienten, nicht die geringste Ahnung was ein Arzt in einer Rehabilitationsklinik den ganzen Tag macht. Das sollte sich schnell ändern...
Ja, dass es die Sozialmedizin gibt, das wusste ich schon aus dem Studium. Wie das im Alltag aussieht, das wurde mir erst klar als ich plötzlich und unerwartet als Stationsarzt dafür zuständig war. Dass die meisten Patienten in den Kurkliniken von den Rentenversicherern, der alten BfA und LVA, die heute Namen wie DRV Bund Berlin, DRV Bahn-See-Bochum, DRV Hessen und so weiter tragen, geschickt werden, war mir neu. Als ich dann einen dicken Packen mit Textbausteinen und einen 12-Seiten fassenden Fragebogen in die Hand gedrückt bekam, schwante mir schon, dass hier echt viel Arbeit dahintersteckt. Schon bald murmelte ich die Ziffern der vorgefertigten Textbausteine in mein Diktiergerät: „Ziffer 1, Ziffer 4, Familienanamnese: Die Mutter ist 86 Jahre alt und altersentsprechend gesund, der Vater ist mit 64 Jahren verstorben und litt an Rheumatoider Arthritis, keine Schuppenflechte in der Familie. Eigenanamnese: An Kinderkrankheiten sind die Masern erinnerlich, Voroperatationen usw. spezielle Anamnese“. In schnellem Tempo konnte man in 15 Minuten die Krankheitsgeschichte und den Untersuchungsbefund diktiert haben. Die Untersuchung hatte zwischen 30 und 90 Minuten gedauert, je nach Krankheitsbild und Patienten. Zwischen drei und sechs neue Patienten pro Tag, bei denen man dieses Procedere durchlaufen musste. Dann die Abschlussbriefe der Patienten, die nach Hause gingen: Kurzarztbrief diktieren, Ende des Gutachtens. Patient arbeitsfähig, welche Einschränkungen gibt es? Was empfehlen wir? Zwischendurch Visite, Stationsarbeit, Labor, EKGs befunden, teilweise Ultraschall und Duplex. Überstunden eher keine Seltenheit. Jeder Arzt hat etwa 40 Patienten zu betreuen, wenn ein Kollege krank ist oder in den Urlaub geht oder beides können es auch mal locker 60 werden. Das ist dann schon echt extrem, da man dann die Patienten kaum noch kennt und sich die Arbeit schnell auf dem Schreibtisch stapelt. Sprechstunde und Visite teilweise im Tempo wie beim Allgemeinmediziner: zack, zack. Hier musst Du schon medizinisch fit sein, um bei dieser Geschwindigkeit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Was wirklich gut ist im Vergleich zum Akuthaus sind die Dienste. Teilweise Rufbereitschaft als Stationsarzt, teilweise 1-2 Bereitschaftsdienste à 24 Stunden pro Monat. Damit sind die Wochenenden häufiger frei. Das ist für ein Familienleben und fürs Auftanken wichtig.
Mein Resümée: Es erweitert den Horizont beträchtlich mal in einer Reha gearbeitet zu haben. Dass das wenig Arbeit sei und keine richtige Medizin gemacht werden würde kann ich so nicht bestätigen. Es gibt halt etwas andere Schwerpunkte. Gerade die sozialmedizinischen Begutachtungen und das Mitbekommen der vielen Patienten, die von ihren Arbeitsbedingungen sowie von ihren privaten Geschichten berichten, haben mir als Arzt gut getan und einige Vorurteile deutlich relativiert. Hier kann man sehen, welchen Weg unsere Gesellschaft nimmt und welche Schwerpunktprobleme es gibt. Also: Erst selber mal dort arbeiten, dann urteilen!
Autor: Dr. Großes Rad
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