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Die Facharztweiterbildung: ein Spielball der Kammern
Ist es erlaubt, den Sinn der Weiterbildungsordnung zum Facharzt zu hinterfragen? Wenn man in direkten Kontakt mit den einzelnen 17 deutschen Ärztekammern tritt, müsste hier die Antwort klar “nein” lauten. Es ist eine klare Abwehrhaltung gegen solche Fragen spürbar, eine Antwort erhält man nicht. Ein näherer Kontakt zu den Gremien erhärtet dann den Verdacht, dass es nicht alleine um eine hochqualitative Weiterbildung zu Fachärzten geht, sondern mehr politische Gründe im Vordergrund stehen. Die Weiterbildungsordnungen werden politisch ausgehandelt, die notwendigen Untersuchungszahlen sind zu hoch und werden in kammerinternen Gesprächen, für die Ärzte in der Weiterbildung nicht nachvollziehbar, festgelegt. Dass astronomische Anzahlen an Ultraschall des Abdomens und Duplex der Gefäße beispielsweise für die Allgemeinmedizin gefordert werden, liegt nach dem in der Kammer aktivem Mitglied Dr. L. daran, dass die etablierten Fachärzte Konkurrenz verhindern wollen. “Es muss gelogen und betrogen werden und in diesen Fällen rate ich auch ausdrücklich dazu. Lassen Sie sich alles unterschreiben was notwendig ist. Anders geht das nicht”, heißt es in einer internen Besprechung auf die Frage eines Assistenzarztes, wie die Zahlen in der Praxis zu erreichen seien.
Kann das so weitergehen? Sollen Patienten und junge Ärzte weiterhin unter einer Selbstverwaltung leiden, in der es zu viel um politische Machtspiele und Sichern der eigenen Pfründe geht und die junge Generation an Ärzten durch unsinnige Vorschriften erpressbar gemacht wird? Die zuständigen Landesministerien sehen weg, verweisen auf die ärztliche Selbstverwaltung. Doch in den “Ärzteparlamenten” der Kammern sitzen aus nachvollziehbaren Gründen nur wenige junge Mediziner, weil diese ohnehin schon durch die extrem belastende Arbeit an der Grenze ihrer Kräfte sind. Nebenbei noch die wenigen freien Wochenenden und Abende im Jahr ehrenamtlich als Delegierter zu verbringen ist kaum möglich. So erhält sich das System selbst aufrecht, zieht Theoretiker und etablierte Ärzte, die die Realität von uns jungen Ärzte nicht kennen, an. Diese verstehen die Probleme unserer Nachfolgegeneration nicht. Dadurch entsteht gerade uns jungen Ärzten ein enormer Schaden, von den Konsequenzen für die Patienten, um die es ja eigentlich gehen sollte, gar nicht zu sprechen. Eine weitere Folge ist, dass durch eine schlechte Weiterbildung die Kompetenz der gesamten Ärzteschaft sinkt und dadurch horrende Summen für unnötige Diagnostik und Therapien zu Lasten der Solidargemeinschaft vergeudet werden.
Partikularismus
In einer Zeit der Globalisierung, einer immer näher zusammenwachsenden Europäischen Union, die als supranationales Gebilde Aufgaben der Einzelstaaten übernimmt, in einer Zeit in der die Europa-Währung “Euro” Realität geworden ist, mutet der Partikularismus der 17 Ärztekammern äußerst anachronistisch an. Die immer wieder geforderte unbegrenzte Flexibilität bei der Wahl und einem Wechsel des Arbeitsortes wird durch die hohen Weiterbildungsschranken der einzelnen Landesärztekammern, ähnlich den Zollschranken zu Zeiten der deutschen Kleinstaaterei bis Anfang des 19. Jahrhunderts, konterkariert. Während der Facharztweiterbildung kommt es so immer wieder zu deutlichen Härten, ungerechten, erbsenzählerischen Auslegungen, die unnötig sind und allen schaden. Junge Ärzte vor der Facharztprüfung werden so zum Spielball der Zustände an den Kammern, werden durch sinnentfremdete Regelungen der Weiterbildungsordnungen zum Lügen und Betrügen gezwungen und damit erpressbar. Gleichzeitig wird dadurch, wie im monarchistischen System zu Kaisers Zeiten, die Hierarchie aufrechterhalten. Denn wer aufmuckt, dem droht, dass er seine Unterschriften für nicht gemachte und nicht machbare Untersuchungen nicht erhält, dass Mindestzeiten am Stück in den Kliniken nicht anerkannt werden oder weitere Schikanen. Die Möglichkeiten der Kammern sind derzeit hier fast unbegrenzt, den jungen Ärzte Steine in den Weg zu legen.
Was wir brauchen
Vonnöten sind hier klare, bundeseinheitliche Regelungen, die sich an dem orientieren, was ein späterer Facharzt wirklich für seinen Arbeitsalltag benötigt und was während einer Weiterbildung in der vorgeschriebenen Zeit machbar ist. Gerade die Untersuchungszahlen müssen davon abgeleitet werden, was sinnvoll ist und deutlich in der Quantität heruntergefahren werden. An diese Stelle sollte eine gute, strukturierte Schulung in den jeweiligen Untersuchungen treten und den angehenden Fachärzten die Möglichkeit gegeben werden, ihren Weiterbildungskatalog während der regulären Weiterbildungszeit und während der Arbeitszeit zu erfüllen. Es muss offen diskutiert werden, ob die Landesärztekammer in ihrer jetzigen Funktion nicht zugunsten einer Bundesärztekammer als Organ des Öffentlichen Rechts ersetzt wird und die Landesärzteparlamente zugunsten eines Bundesärzteparlamentes aufgelöst werden. Dann hätten wir mehr Flexibilität, Anerkennungsschwierigkeiten mit ihren Härten bei Ortswechsel fielen weg und neue Regelungen ließen sich schnell und zeitgemäß durchsetzen. In Europa gibt es ausreichend gut funktionierende Beispiele mit national organisierten Ärztevereinigungen (z.B. Frankreich, Schweiz u.a.). Was außerdem notwendig ist, ist eine Rückkopplung der Weiterbildungsqualität von den angehenden Fachärzten. Werden Kliniken und Praxen mit Weiterbildungsermächtigung zu einer strukturierten Weiterbildung unter Vorlage eines detaillierten Weiterbildungskonzeptes verpflichtet und evaluieren die Weiterzubilden regelmäßig ihre Weiterbildung, entsteht die Möglichkeit, die Weiterbildungsqualität kontinuierlich zu optimieren. Fallen Evaluationen zu schlecht aus, müsste das Problem unbürokratisch vor Ort analysiert werden und gegebenenfalls auch schnell die Weiterbildungsermächtigung bis zur Behebung des Problems entzogen werden. Allein daran, wie selten bisher eine Weiterbildungsermächtigung von Seiten der Ärztekammern zurückgenommen wurde, kann man sehen, dass die Kammern sich hier nicht ausreichend um ihre zukünftigen Fachärzte kümmern. Das steht in krassem Gegensatz zu den Erfahrungen vieler Assistenzärzte mit der Weiterbildung in Klinken und Praxen, Schikanen und Ausbeutungen, die den Entzug der Ermächtigung in mehreren Fällen allemal rechtfertigen würde. “Eine Überwachung der Weiterbildungsqualität während der Weiterbildung findet nicht statt”, heißt es lapidar in der Antwort einer Landesärztekammer. Andere Kammern reagieren inhaltlich ähnlich. Hier könnte sich ein Beispiel an der Schweiz genommen werden, in der Evaluationen und auch Begehungen der Spitale (“Visitationen”) genauso üblich sind wie ein Entzug der Erlaubnis, Ärzte zum Facharzt weiterzubilden. In neue demokratische Strukturen müssten auch Ärzte in der Weiterbildung eingegliedert werden und ihnen real die Möglichkeit dazu gegeben werden, Arbeit, Familie, Freizeit und berufspolitische Mitwirkung unter einen Hut zu bekommen. Dann hätten wir nicht nur die Chance, den seit Anfang des Jahrtausends bestehenden Ärztemangel langfristig in den Griff zu bekommen, sondern auch die Möglichkeit, ein System zu installieren, das sich von der Basis her trägt und sich beständig gemäß den aktuellen Gegebenheiten weiterentwickelt. Das würde nicht nur die Zufriedenheit der Ärzteschaft steigern, sondern auch zu einer besseren Versorgungsqualität der Bevölkerung führen und nebenbei noch immense Kosten sparen.
Dieser Artikel ist in anderer Version in der Marburger Bund Zeitung (MBZ) Nr.4/2008 erschienen. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der MBZ.
Autor: Das Forum
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