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Weshalb es in den Kliniken so schlecht läuft


Dass der Beruf des Arztes belastend ist hat sich inzwischen weitgehend herumgesprochen. Was es im Detail heißt, Beitschaftsdienste von bis zu 24-Stunden abzuleisten, am Wochenende zu arbeiten, ohne dafür einen freien Tag unter der Woche zu bekommen, können viele Nicht-Ärzte nur erahnen. Was es bedeutet, kaum Zeiten der Ruhe und des Regenerierens zu haben, was die Folge von ständig müden Ärzten für den Umgang mit Patienten und für die Qualität der medizinischen Behandlung ist, wird häufig nicht gesehen. Da Ärzte eine hohe Verantwortung tragen ist nicht umsonst in der Berufsordnung für Ärzte §2 Absatz 4 festgelegt, dass „der Arzt hinsichtlich seiner ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nicht-Ärzten entgegen nehmen“ darf. Doch in der Realität sieht das oft anders aus. Die Bundesregierung möchte die Zahl der Krankenhäuser und Rehakliniken reduzieren und hat deshalb einen verschärften Wettbewerb ausgerufen. Die besten Klinken sollen sich durchsetzen und überleben, die anderen müssen schließen. Theoretisch hört sich das ja erst einmal gut an. Doch in der Realität hat das mehrere Konsequenzen, die zu einem gelebten Sozialdarwinismus und einem Verkauf des Gesundheitswesens an eine nach marktwirtschaftlichen Kriterien organisierte Gesundheitsindustrie führt. Die Krankenhausverwaltungen haben eine Übermacht bekommen, streichen wichtige Medikamente aus Behandlungslisten, setzen Ärzte unter Druck, bestimmte Medikamente nur unter engsten Maßstäben einzusetzen und gefährden damit unter Umständen das Wohl von Patienten.



Der Manchester-Kapitalismus zeigt sich auch im zwischenmenschlichen Verhalten zwischen Verwaltung und dem Ärztlichen Dienst, also den Ärzten von Chef- über Oberarzt und Stationsarzt. Da wird nicht selten der Ärztlichen Direktor oder ein Chefarzt von der Verwaltungsleitung vorgeführt, unter Druck gesetzt, die Betten besser zu belegen oder Patienten zu entlassen oder wie ein kleiner Junge getadelt, wenn der kaufmännische Leiter mit einer Entscheidung nicht einverstanden ist. Das Nebeneinander von Verwaltungsleitung, Ärztlicher Leitung und Pflegedienstleitung auf gleicher Augenhöhe ist in seiner Grundordnung durcheinandergeraten. Qualitätssicherung und Prozesse spielen eine größere Rolle als der Patient selbst. Die Zertifizierung nach ISO EN 9000ff hat auch in den Kliniken Einzug gehalten. Da werden Chefarzt und Oberärzte regelmäßig zu Qualitätsmanagement-Sitzungen abkommandiert, während die medizinische Versorgung der Patienten unzureichend ist, für Ärzte in der Weiterbildung zum Facharzt keine Weiterbildung stattfindet und Arztbriefe vom Diktat nicht geschrieben werden, weil die Sekretärin ja ebenfalls an der Qualitätssitzung teilnimmt. Da drängt es sich auf zu fragen, ob die Prioritäten hier noch stimmen.



Aber auch das Verhältnis der Ärzte untereinander ist bei dünnen Personaldecken schnell gestört, wenn ein Kollege durch Krankheit oder Fortbildung ausfällt. Bei voller Besetzung läuft der Betrieb oft geradeso. Schon bei Urlaub eines Kollegen ist häufig eine Belastungsgrenze überschritten. Bei Krankheit eines weiteren Arztes oder Fehlen aufgrund von Fortbildungveranstaltungen, die oft früh gebucht und bezahlt werden müssen, können Extrembedingungen entstehen, bei denen ein Arzt die Arbeit von zwei erledigen muss. Dass dies zu Lasten der Patienten geht ist offensichtlich. Fast reflexartig entsteht eine Wut auf den fehlenden Kollegen, der nur das Recht eines Arbeitnehmers in unserem Sozialsystem in Anspruch nimmt, bei Krankheit nicht zu arbeiten. Dies führt nicht selten dazu, dass Ärzte krank, manchmal auch mit hohem Fieber, häufig unter Medikamenten und Aufputschmitteln weiterarbeiten, da sie um die Situation der anderen Kollegen wissen. Außerdem fürchten viele den Zorn der anderen Ärzte und gefährden lieber ihre Gesundheit. Eine Kollegin des Autors hat sich aufgrund einer solchen Situation gerade eine Lungenentzündung zugezogen.



Eine Lösung wäre es, mehr Personal einzustellen, Urlaubs- und Krankheitsvertretungen zu organisieren. Doch aufgrund eines scharfen Wettbewerbs scheuen die Klinikverwaltungen die Kosten, so dass Sparmaßnahmen auf dem Rücken von Krankenhauspersonal und Patienten ausgetragen werden. Die Rentenversicherer, die meist die Finanzierer für Reha- und Kurbehandlungen sind, schreiben den Rehakliniken sogar den Personalschlüssel genau vor, errechnet am grünen Tisch mit in der Realität katastrophalen Folgen. Die kaufmännischen Verwaltungen haben Sorge, dass die Rentenversicherer ihnen keine Patienten mehr schicken, wenn sie aufmucken und mehr Personal fordern. Es wird auch von unguten Strukturen berichtet, um die Patientenströme über persönliche Kontakte in die eigene Klinik zu kanalisieren oder von geschönten Gutachten, damit die Rentenversicherer erneut Patienten in die eigene Rehaklinik schicken, weil diese ja angeblich so gut und erfolgreich arbeitet.



Am Ende werden viele Kliniken schließen müssen und das Ziel ist dann vordergründig erreicht. Doch wer bleibt übrig? Es werden nicht die besten Kliniken mit den menschlichsten und fachlich am besten arbeitenden Ärzten bei einer gleichzeitig effizienten Verwaltung sein. Vielmehr ist zu befürchten, dass sich diejenigen Kliniken durchsetzen werden, die sich mit aller Gewalt und allen Tricks auf Kosten von Klinikpersonal und Patienten mit einer guten Außenfassade durch eine gute Marketingstrategie der Klinikverwaltungsleitungen am Markt behaupten werden. Die Form stimmt, der Inhalt ist faul. Das ist genau entgegengesetzt zum Ideal des ärztlichen Berufsbildes und des Berufsethos. Kooperation statt Marktwirtschaft wäre der bessere Weg. Sonst beschreitet das Gesundheitswesen einen ähnlichen Weg wie gerade das Finanzwesen, das ebenfalls nur auf Form, wie auf Kreditblasen aufbaute. Die Folgen erleben wir in diesen Monaten. So wie Barack Obama die Hände in alle Richtungen ausstreckt und betont, dass die Krise gemeinsam überwunden werden muss, so müssen wir das analog auch tun, wenn es um unser höchstes Gut, die Gesundheit geht. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen für eine Wende, jetzt sollte das Bundesgesundheitsministerium steuernd eingreifen und das Hauen und Stechen der Kliniken untereinander beenden, ausreichend Geld zur Verfügung stellen und damit die Basis für ein solides Gesundheitssystem schaffen.


Autor: Der Neue Hippokrates