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Wir sitzen alle in einem Boot…
…doch die einen rudern und die anderen angeln. Dieses Gleichnis für unser Gesundheitswesen habe ich letzte Woche im Schwesternzimmer des Pflegeheims im Nachbarort an der Wand hängen sehen. Es beschreibt für meine Begriffe sehr gut die Entwicklung der letzten Jahre.
In besagtem Pflegeheim läuft die Entwicklung zum Raubtierkapitalismus im Zeitraffertempo, seit im Sommer von der Trägergesellschaft die alte Pflegedienstleitung abgesetzt und durch Frau Grünlich, die den Titel „Pflegemanagerin“ trägt, ersetzt worden ist. Das erste Opfer der Umstrukturierungen Frau Grünlichs waren die Hauswirtschafterinnen, Frauen aus den Nachbardörfern, die schon seit Jahrzehnten im Heim arbeiteten, mit den Bewohnern auf Du und Du waren und sich sowohl um die Küche als auch um die Reinigung der Räume zu kümmern hatten. Deren Dauerverträge waren Frau Grünlich ein Dorn im Auge, deshalb zog sie alle Register einer Taktik, die auf Neudeutsch Mobbing genannt wird. Die Hauswirtschafterinnen wurden sämtlich von ihren gewohnten Stationen auf andere versetzt. Der Dienstplan wurde so umgeschrieben, dass das vorgegebene Arbeitspensum nicht mehr zu schaffen war. Als sich die ersten beschwerten, wurde ihnen der vorzeitige Ruhestand nahe gelegt. Einige haben von dieser Option bereits Gebrauch gemacht, andere erscheinen regelmäßig zur Krankschreibung in meiner Praxis. An die Stelle der Hauswirtschafterinnen ist inzwischen das „Clean-Team“ getreten. Dieses besteht aus geschunden dreinblickenden Menschen in roter Uniform, die im Akkord die Stationen putzen müssen und die über einen jederzeit kündbaren Vertrag mit einer Zeitarbeitsfirma in der 20 km entfernten Stadt verfügen. Persönlichen Kontakt können die Clean-Team Mitarbeiter allein aufgrund des Zeitdrucks nicht mit den Heimbewohnern aufbauen. Aber die Position „menschliche Zuwendung“ taucht ohnehin nicht im offiziellen Leistungskatalog der Heime auf.
Ähnliche Beispiele sind mir in den letzten Jahren viele begegnet. Alle folgen dem selben Muster: die Leistungserbringer müssen immer mehr Arbeit zu immer schlechteren Konditionen erbringen, während auf der anderen Seite immer mehr Geld in Bereiche abfließt, die der Patientenversorgung nicht zu Gute kommen. Im Falle des Pflegeheims erhöht sich durch die Einsparmaßnahmen der Gewinn der Betreibergesellschaft, an der die umliegenden Banken beteiligt sind. Dabei handelt es sich um keine kleinen Beträge, denn ein Pflegeplatz kostet durchschnittlich 3400 Euro im Monat. Das nächste Opfer Frau Grünlichs sind bereits die Krankenschwestern, die fortan während ihrer Schichten für doppelt so viele Patienten verantwortlich sind und als Ausgleich eine Pflegehelferin mit einjähriger Ausbildung (und entsprechend niedrigerem Gehalt) an die Seite gestellt bekommen. Als wir umliegenden Hausärzte einen Gesprächstermin mit Frau Grünlich über die negativen Entwicklungen ausmachen wollten, bekamen wir eine „Audienz“ in frühestens 3 Monaten zugesagt. Derzeit versuchen wir über den Bürgermeister, dem die Oberaufsicht über die Betreibergesellschaft obliegt, Einfluss auf Frau Grünlich zu nehmen.
Anmerkung: Die Namen in diesem Artikel sind frei erfunden. Die Geschehnisse leider nicht.
Autor: Dr. Heuteufel
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