Heute Rückflug aus dem Kurzurlaub. Mal abgetaucht aus dem Alltag eines Arztes in Weiterbildung im vierten Weiterbildungsjahr. Wieder einmal ist mir aufgefallen wie unterschiedlich wir Völker in Europa doch sind. Wie sehr auch ich von der deutschen Kultur konditioniert bin habe ich während dieser Reise nach England mehrfach bemerkt. Als der Bus von London nach Cambridge mit einer Verspätung von 50 Minuten eintraf, stieg Wut in mir auf, und ich hatte den Wunsch, mich zu beschweren. Mir kam der Gedanke, in Deutschland sei das alles besser. Beim Einsteigen lächelte der Busfahrer die neu zusteigenden Fahrgäste herzlich an und sagte fröhlich „sorry, we’re late...“ und mein Unmut wich einer Heiterkeit über die Erkenntnis, wie deutsch ich doch gerade gefühlt hatte. Ich erinnerte mich an die Geschichten, die mir meine italienische Frau aus Frankfurt am Main erzählt, wo die Busfahrer regelmäßig zu den Fahrgästen unfreundlich sind und sie sogar manchmal anschreien. Das habe ich hier in Großbritannien anders erlebt. Durchweg Hilfsbereitschaft, Höflichkeit und Freundlichkeit. Auch auf der Fahrt mit der Tube, wie die U-Bahn in London bekanntlich genannt wird, sorgte es für ein Lächeln als der Fahrer die Station „Boston Mansion“ mit „Boston Massachusetts“ ankündigte. Es sind die kleinen Dinge, die für ein gutes Gefühl sorgen, ein wenig Selbstironie, manchmal auch ein wenig mehr.
Heute dann die Rückkehr aus dem englischen Regenwetter in den Sonnenschein in Hessen. Doch schon in der S-Bahn war ich erschrocken: Warum schauen die Leute alle so böse, traurig oder depressiv? Warum lächelt niemand zurück, wenn man ihn anblickt, wie ich es von England, Italien, Spanien und den Niederlanden kenne, um nur einige Länder zu nennen? Warum sehen die meisten Leute scheu weg als gebe es ein Gesetz, das Sichansehen verbiete? „So geht es mir jedes Mal, wenn ich von Italien komme“, sagte meine Frau und die Erkenntnis stieg in mir auf, dass wir Deutschen wohl wirklich so sind. Vielleicht ist es in Frankfurt auch ein wenig ausgeprägter, zumindest ist das der Ruf der Frankfurter.
Zu Hause liegt dann das neue Deutsche Ärzteblatt Nr. 14/2009 auf dem Poststapel der Woche. Dort stoße ich gleich auf den Artikel unter STATUS
Gründe für den Ärztemangel. Darin beschreibt eine junge Ärztin von ihren haarsträubenden Erlebnissen während der ersten sechs Monate Weiterbildung Anästhesie. Sie bekommt keine Hilfe, im Gegenteil wird ihr Engagement blockiert und sie herablassend und unfreundlich behandelt. Situationen, wie sie von Ärzten in den Kliniken vielfach beschrieben werden und vor denen die Ärztekammern die Augen verschließen. Hier müssten sie die Weiterbildungsermächtigung umgehend entziehen und den zuständigen Ärzten mit berufsrechtlichen Konsequenzen drohen. Willkommen zu Hause, denke ich mir, willkommen in Deutschland, dem Land der steilen Hierarchien in den Krankenhäusern und dem Land in dem die Facharztweiterbildung auf dem Schlachtfeld der berufspolitischen Machtkämpfe geopfert wird. Und das zu Lasten der jungen Ärzte. Die älteren, etablierten Ärzte haben ihre Schäflein schon auf dem Trockenen und leben noch von den goldenen Zeiten. Jetzt besetzen sie gut honorierte Posten und wollen uns jungen vorschreiben, was wir zu tun haben. Eine Frage steigt in mir auf: Was mache ich noch hier in diesem Land? Das frage ich mich so manches Mal, wenn ich das Dauergejammer der deutschen Ärzte höre und sehe, dass nur die wenigsten aktiv etwas gegen die Zustände tun. „Ärzte in Weiterbildung aller Bundesländer vereinigt Euch“, möchte ich da rufen. Nur zusammen können wir die verkrusteten Strukturen aufbrechen und aufbrechen nach Europa, wo die ärztliche Weiterbildung in den meisten Staaten besser ist als bei uns in Deutschland.