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Die Macht der Worte, Teil 2


„Wollen Sie zum Dr. Meier oder zum Assistenten?“, hieß es noch bis vor kurzem, wenn ein Patient in unsere Praxis kam. Bei uns kann sich der Patient seinen Arzt aussuchen. Als Arzt in Weiterbildung mit über drei Jahren Berufserfahrung erledige ich während der Sprechstunden die gleiche Arbeit wie meine Chefs. Nur habe ich noch einen Ansprechpartner, wenn ich Fragen habe und damit noch einen gewissen Schutzraum. Mein Chef versteht meinen Einwand, dass „Weiterbildungsassistent“, „Assistent“ oder „Assistenzarzt“ diesen Status herabwürdigt. Seitdem ich Anfang des Jahres bei ihm in der Praxis arbeite heiße ich offiziell „Arzt in Weiterbildung“. Ein Erfolg.

Jetzt läuft es anders: Wenn Patienten kommen fragen die Medizinischen Fachangestellten (MFAs), die früher Arzthelferinnen genannt wurden: „Ist es egal bei wem?“ oder „Es ist aber nur der Dr. Sounso da“, das bin dann beide Male ich. Neulich kam eine Patientin zu mir, die das „Arzt in Weiterbildung“ auf der Praxistafel am Eingang unter meinem Namen gelesen hatte. „Sind Sie denn ein richtiger Arzt?“, fragte Sie mich beim Eintreten in mein Sprechzimmer. Ich erklärte ihr, dass ich mein Studium seit 3 ½ Jahren abgeschlossen habe, dass ich promoviert bin und seit über drei Jahren als Arzt arbeite. Sie war erstaunt. Viele Patienten fragen nicht, sie gehen davon aus, dass ich noch in „Ausbildung“ bin und diese Einstufung empfinde ich 11 Jahre nach Beginn und beinahe vier Jahre nach Ende meines Studiums, nach drei Jahren in Kliniken und nun mehreren Monaten in einer Praxis als ungerecht. Sie untergräbt das so wichtige Vertrauensverhältnis zwischen mir als Arzt und den Patienten. Aber immerhin bin ich kein „Assistent“ mehr, das hört sich nach noch weniger Kompetenz an. Der Prozess, einen neuen Namen zu finden ist in vollem Gange. Auch der Marburger Bund verwendet nach Veröffentlichung von „Die Macht der Worte, Teil 1“ und Schriftwechseln zu diesem Thema aktuell „Arzt in Weiterbildung“. Auf dem Deutschen Ärztetag wurde auch ein Antrag gestellt, den Arzt noch ohne Facharzttitel als „Weiterzubildenden“ zu bezeichnen. Doch dies hört sich nach „Auszubildendem“ an: WEZUBI statt AZUBI und damit auch noch keine Lösung.

Die Begriffe „Ausbildung“, „Fortbildung“ und „Weiterbildung“ werden im Sprachgebrauch vermischt. Doch in der Medizin sind sie strikt getrennt. Die Ausbildung ist das Studium und ist mit dem Abschluss des letzten Staatsexamens beendet. Danach folgt dann eine Spezialisierung in eine Richtung: Frauenheilkunde, Nervenheilkunde, Allgemeinmedizin, Chirurgie und so weiter. Diese Phase dauert im günstigen Fall je nach Fachgebiet 4-6 Jahre und wird in Deutschland „Weiterbildung“ genannt. Die Wissenschaft entwickelt sich, es kommen täglich neue Erkenntnisse dazu, daher gibt es seit einigen Jahren die Nachweispflicht (das „Fortbildungszertifikat“), dass wir Ärzte uns auf dem Laufenden halten, uns also ausreichend fortbilden.

Doch selbst Kollegen ist das nicht so klar. So musste ich vor Kurzem selbst einmal zum Arzt. Die Kollegin Allgemeinmedizinerin sah meine Berufsbezeichnung „Arzt“ , die ich in ihrem Krankheitsfragebogen eingetragen hatte und fragte nach. „Wenn Sie dann erst einmal richtiger Arzt und fertig sind...“, setzte sie an, bevor ich unterbrach, ich sei richtiger Arzt und fertig, momentan übrigens auch körperlich, deshalb sei ich ja da. „Ich meine, wenn Sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben...“. Meine Weiterbildung würde ich in knapp 2 Jahren abschließen, sagte ich. Kollegen in der Weiterbildung berichten von ähnlichen Erlebnissen. Damit können wir diskriminiert und unsere Gehälter niedrig gehalten werden. So wundert es nicht, dass Ärzte in dieser Phase zum Facharzt Allgemeinmedizin in weiten Teilen Deutschlands auch jetzt noch 2040 Euro Bruttogehalt bekommen. Es ist daher auch keine Überraschung, wenn „Google“ unter „Facharztausbildung“ 76.900 Treffer findet, bei „Facharztweiterbildung“ nur 31.500.

Daher mein Plädoyer, einen neuen Begriff zu finden und konsequent einzusetzen. Auf englisch wird die Weiterbildung zum Facharzt „vocational training“ oder „specialisation“ genannt. Auf italienisch heißt das „spezializzazione“, auf spanisch „residencia“ auf französisch „spécialisation“.

Doch auch nach Abschluss meiner mindestens fünf Jahre dauernden Spezialisierungsphase zum Facharzt für Allgemeinmedizin werde ich dann nicht als gleichwertiger Arzt angesehen. Zwar habe ich mich wie die Kollegen anderer Fachgebiete die gleiche Zeit spezialisiert, habe an einer Facharztprüfung an der Landesärztekammer teilgenommen und mich den Regularien der Weiterbildungsordnung genauso unterworfen wie sie. Doch im Sprachgebrauch der Bevölkerung und auch vieler Kollegen bin ich dann ein „Hausarzt“ im Gegensatz zum „Facharzt“. So als wären sie „vom Fach“, ich aber nicht.

Früher war das einmal so. Es gab den „Praktischen Arzt“, der sich nicht oder kaum spezialisieren und keine Facharztprüfung ablegen musste. Doch bereits seit 1976 gibt es den Facharzt für Allgemeinmedizin, allerdings noch freiwillig und parallel zu den Praktischen Ärzten. Erst der 95. Deutsche Ärztetag 1992 beschloss eine dreijährige Pflichtweiterbildung für den Facharzt für Allgemeinmedizin ohne die man in der Folge als Hausarzt keine Kassenzulassung bekam. Die früheren Praktischen Ärzte hatten allerdings anfangs auch die Möglichkeit, sich ohne Weiterbildung und Prüfung auf den neuen Facharzt umschreiben zu lassen. Doch im Jahre 1997 beschloss der 100. Deutsche Ärztetag eine fünfjährige Pflichtweiterbildung, die in der Folge von allen Landesärztekammern umgesetzt wurde und seither in allen Bundesländern Deutschlands gilt. Seitdem sind Fachärzte für Allgemeinmedizin und andere Fachärzte von der Weiterbildung her gleichgestellt. Jeder, der sich nach dem Studium mindestens fünf Jahre zum Facharzt für Allgemeinmedizin spezialisiert hat, musste diese Phase durchlaufen. Daher plädiere ich dafür den teils historisch, teils politisch motivierten Sprachgebrauch von „Hausärzten“ und „Fachärzten“ aufzugeben.

Gestern habe ich in dem Blog des Kollegen „Medizynicus“ eine Anmerkung gelesen, mit Begriffsänderungen würde ja nicht die Realität geändert (Link) . Doch fängt die Diskriminierung im Geiste an. Wer sich als „Assistent“ fühlt wird schneller als solcher behandelt, wer glaubt, er sei in der "Ausbildung" gibt sich schneller zufrieden. Wer meint, er sei doch nur „Hausarzt“ und kein „Facharzt“ rechtfertigt Ungerechtigkeiten und damit den Ist-Zustand.

Daher möchten wir als Redaktion des „neuen Hippokrates“ den Vorschlag machen, neutralere Begriffe zu finden. Statt Weiterbildung zum Facharzt könnten wir, wie im Ausland längst üblich „Spezialisierung“ wählen. Analog wäre der Arzt in der Spezialisierung der „Spezialisierungsarzt“. Zu überlegen wäre auch, die in der Schweiz übliche Bezeichnung „Spezialarzt“ gegenüber dem „Allgemeinarzt“ zu verwenden.

Hier rufen wir Sie als Leser unserer interaktiven Internetzeitung und Hörer unseres Podcasts auf, Ihre Meinung hierzu zu äußern und zusammen neue Begriffe zu finden. Auf dem 113. Deutschen Ärztetag im Mai 2010 können dann Anträge zur Änderung der Bezeichnungen gestellt werden, um die Hierarchien und Wertungen aus unserer Sprache herauszunehmen. Das ist unserer Meinung nach schon längst überfällig.

Hier geht es zu unserem Artikel Die Macht der Worte, Teil 1


Autor: Der Neue Hippokrates





Kommentare zu dieser News:

Datum: Mo 08 Jun 2009 15:02
Von: www.medizynicus.de


Hallo,
danke für Deinen Kommentar - hier und zu dem Artikel in meinem Blog.
Was Ihr macht ist richtig und wichtig - nur sollte man es eben nicht bei diesen Worten belassen - und das ist, was auf Ärztetagen und allen anderen politischen Organen leider gelegentlich immer wieder ziemlich oft passiert....

Datum: Di 09 Jun 2009 13:46
Von: Der neue Hippokrates


Lieber Medizynicus,

ja, das sehe ich auch so! Parallel müssen die Bedingungen verbessert werden. Die Namensänderungen wären ein erster Schritt das Bewußtsein zu verändert. Aus einem neuen Selbstverständnis heraus könnte es dann leichter sein, die Verhältnisse zu ändern.
Danke auch für Deine Kommentare!