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Wo ist die Psychosomatik geblieben, gibt es eine Chance?
Mit 18 Jahren wollte ich Psychosomatiker werden, und ich bin es geworden. Ich sah, wie Lebensweise und Krankheiten zusammenhängen, nichts kommt aus nichts und etwas aus etwas. Alle Dinge, die erscheinen, sind die Folge unendlicher Kausalketten, „alles hängt mit allem zusammen“, so beschreibt es auch (...) die Quantenphysik und ist nur so zu betrachten. Psychosomatik hat eine zwingende Logik, was die Pathogenese betrifft.
Die Beweise der Psychosomatik sind schwer zu führen, da die Kausalketten extrem zahlreich sind und nicht gerade verlaufen. Viele Menschen erahnen die Kausalketten und der Volksmund kennt viele Sprüche, die auf die Psychosomatik hinweisen.
Zur Zeit rückt die genetische Disposition für Krankheiten in den Vordergrund. Das lenkt dahin, genetische Defizite in Zukunft medikamentös oder durch neue biologische Vorgehensweisen zu kompensieren. Die Aussicht auf längeres Leben weckt ein Begehren, das am Ende unbezahlbar ist, an deren Vermarktung die Industrie (pharmakologisch oder biologisch) ein größtes Interesse hat. Jedoch, vermutlich um die gleiche Spanne, wie das Medikament gegen die genetischen Defizite das Leben verlängert, verkürzt es sich durch die Schufterei eines täglichen Mehraufwandes an Arbeitszeit, um das Medikament zu bezahlen. Ein Nullsummenspiel.
Aus der Placeboforschung ist bekannt, wie immens der Einfluss der Erwartung, des Glaubens, der Hoffnung, der Stimmung auf Gesundungsprozesse ist, so hat Psychosomatik auch eine zwingende Logik, was die Salutogenese betrifft.
Psychosomatik hat eine einfache Theorie der konkreten Entstehung von Krankheit und ihrer Heilung. Wenn Angst und Anspannung überhand nehmen, Stresshormone den Körper überfluten, das nervliche System übersteuert ist, wenn die Atmung nicht mehr zur Herzfrequenz passt, die natürlichen Schwankungen des Blutdruckes und der Hautdurchblutung verändert sind, sind wir nicht mehr im Rhythmus, und es kommt im menschlichen Körper zu Defiziten, an deren Ende die funktionelle Störung oder die Krankheit steht. Die Chronobiologie beschäftigt sich mit diesen Rhythmen. Am Ende einer Kur oder auch eines guten Urlaubs sind wir in der Regel wieder eingetaktet und gesundet, auch robuster. Krankheit entsteht, wenn jemand aus dem Rhythmus gefallen ist. Natürlich spielen Ernährung und körperliche Bewegung eine gewisse Rolle. Aber wer im Rhythmus ist, wird auch hier gut für sich sorgen. Viele Entspannungsverfahren, auch viele asiatischen Techniken bringen den Menschen zurück in den Fluss seiner natürlichen Lebensenergie. Auch Psychotherapie hat das Ziel, Blockierungen aufzulösen und den Menschen in die Selbstakzeptanz zu bringen und in Kompetenz, Konflikte stressarm zu lösen, ohne aus dem inneren Rhythmus zu kommen.
Alles spricht dafür, dass Psychosomatik eine Hauptbedeutung hat in der Medizin. Diese Bedeutung hat sie im Berufsalltag mitnichten, weder im ambulanten noch im stationären Bereich. Sie ist ausgelagert in Spezialkliniken und auf Spezialisten. Hier führt die Psychosomatik ein Randdasein.
Die Psychosomatik hat keine Lobby, an ihr lässt sich kein Geld verdienen, sie braucht keine Geräte und keine Medikamente, sie ist einfach, nachhaltig und braucht nur den rein zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Therapeut und Patient. Dieser Kontakt braucht Zeit und diese Zeit ist entweder nicht vorhanden durch hohen Arbeitsdruck (Stationsarzt ist zeitlich eingedeckt durch Vorgaben von immer „besseren“ Standards in Diagnostik und Therapie, sowie durch ausufernde Bürokratie) oder weil Zeit für das ärztliche Gespräch nicht ausreichend und vernünftig bezahlt wird (allgemeinmedizinische Praxis) und der Stellenwert der Psychosomatik dabei übersehen wird. Psychosomatik außen vor zu lassen, ist jedoch ein ärztlicher Kunstfehler, eine Drehtürmedizin ist die Folge.
Der einzige, der so etwas gestalten könnte gegen andere bestimmende Faktoren, wäre die Politik. Sie müsste die Psychosomatik bis ins Detail der ärztlichen Vergütung fördern, einem eigenen Willen folgend – und sich gegen den Selbstläufer medizinisch-technischer Fortschritt stellen, getragen von begeisterten Ärzten, die einer neuen Machbarkeit aufsitzen, neue Standards formulieren, jedoch das Ganze nicht mehr sehen und auch die Bezahlbarkeit falsch einschätzen und immer mehr Ressourcen beanspruchen. Die Finanzmittel sind umzusteuern.
Dieser politische Wille hat bislang gefehlt, auch weil Politiker von der Psychosomatik nicht beeindruckt sind und von anderen Dingen geblendet sind, was mit Pharmaka und mit Operation alles hinzubekommen ist. Dabei können Pharmaka und Operation immer nur am Ende stehen, wenn die natürlich Wege ausgereizt sind. Die verantwortlichen Politiker sind keine Erkennenden und Gestaltenden, sie sind extrem abhängig von der veröffentlichen Meinung, in der Lobbyisten die Mitgestalter sind. Im industriellen Bereich sitzt soviel Geld und Macht und Geschick, dass die meisten nicht mitbekommen, wie die Fäden gezogen werden. Am Ende sind es möglicherweise auch Politiker selbst, die hier eigene Interessen haben. Wundern kann man sich nur darüber, warum so viele wichtige Dinge – auch in anderen nichtmedizinischen Bereichen – in der Politik nicht gestaltet werden. Es handelt sich um politische Kunstfehler, wenn die Politik an der wahren Gestaltung vorbei tappt. Sie ist dumm, wenn Politik die Machtfrage nicht für sich löst und wenn sie den Mächtigen hinterherläuft.
Der Idealist kämpft sich dabei wund und alt. Er muss kämpfen, das ist seine Natur. Er will Gerechtigkeit, er liebt, er hat viel Kraft und ein großes Herz. Aber er will Erfolg haben, er will nicht scheitern. So sollte er die Machtfrage im Auge behalten, ohne sich von Macht korrumpieren zu lassen.
Es reicht nicht, zu argumentieren, zu hoffen, zu bilden, an die Vernunft zu appellieren, zu wählen. Jesus hat die Händler aus dem Tempel getrieben. Aus meiner Sicht mit heller Wut, nicht mit bösem Zorn. Dieser gute „Gotteszorn“ getragen von Intelligenz und Witz, Langmut, Güte, seine Stunde ist gekommen. Die Lüge geht zu Ende. Die Zeit ist reif, der Bogen ist zu seinem Ende gekommen, die Versager müssen weichen. Die guten Ansätze liegen auf der Straße, gewusst von Millionen Menschen in ihren Arbeits- und Lebensbereichen. Das Vernünftige muss Einzug halten, die Vernünftigen gehören an die Macht. Psychosomatik muss Einzug halten, dafür müssen die Weichen gestellt werden.
Autor: Wilhelm Breitenbürger |
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Kommentare zu dieser News:
Datum: Mi 24 Jun 2009 23:17 |
Von: Meister Panglos
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Meine volle Zustimmung, sehr geehrter Kollege ! Leider ist in der Realität das Gegenteil zu beobachten. Nachdem die Psychosomatik in den 70er und 80er Jahren eines Siegeszug antrat, mit Einrichtung psychosomatischer Abteilungen an allen Unikliniken, befindet sie sich in den letzten 10 Jahren in einem dauernden Rückzugsgefecht. In meiner Allgemeinarztpraxis erlebe ich täglich Patienten, die sich lieber mehrfach durch die Mangel der hochtechnisierten Medizin drehen lassen, als sich mit der eigenen Psyche zu beschäftigen. Die Angst vor der vermeintlichen Stigmatisierung einer psychosomatischen Diagnose geht so weit, dass viele Patienten sich lieber unnötigen und gefährlichen Eingriffen und Operationen unterziehen. Das Ergebnis "ohne pathologischen Befund" erleben diese Menschen als persönliche Niederlage. Doch wenn nur beliebig viele Maschinen eingesetzt worden sind, lässt sich bei jedem Menschen ein vermeintlich krankhafter Befund finden und aus der Angst, die uns Bauchweh macht wird die "grenzwertige Laktoseintoleranz" und aus dem negativen Stress, der unsere Rückenmuskeln verspannt die "seronegative rheumatische Arthritis" oder am besten eine Borreliose, auf die in unseren Gefilden mittlerweile alles Übel der Welt geschoben wird. Mir ist noch nicht klar, welche gesellschaftlichen Entwicklungen den Rückzug der Psychosomatik bedingen, doch gerade wir als Allgemeinmediziner müssen die Fahne der ganzheitlichen Medizin hochhalten - auch wenn wir uns dabei manchmal wie der Quijote im Kampf gegen die Windmühlen vorkommen. |
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