Es ist nicht das erste Mal, dass ich beobachte, wie Mediziner sich verbal attackieren als müßten sie ihre Haut retten. Da gehen massenweise Mails mit gegenseitigen Vorwürfen über die Diskussionsplattform, jede halbe Stunde folgen weitere. Einige umsichtige Kollegen mahnen zur Besonnenheit und in diesem Stil Konflikte nicht über ein öffentliches Forum auszutragen, andere gießen selbst Öl ins Feuer. Besonders die Präsidiumsmitglieder eines Verbandes mischen mit und der unbeteiligte Mitleser merkt vor allem eines: Die Kollegen haben Kommunikation nicht gelernt und schaden hier gerade der Sache. In den Krankenhäusern ist das nicht anders, wo in so manchen Kreisen noch im Befehlston miteinander gesprochen wird und Empathie ein Fremdwort ist. Gegenseitige Verletzungen und Vorwürfe sind an der Tagesordnung. Aber das ist nicht nur in der Medizin so, das ist leider weit verbreitet.
Um so wichtiger wäre es, einen Kommunikationsstil zu finden der Konflikte deeskaliert, der die Bedürfnisse hinter dem Gesagten begreift und dennoch das eigene Bedürfnis miteinfließen läßt. Ein solches Modell hat zum Beispiel Marshall B. Rosenberg mit seiner "gewaltfreien Kommunikation" (GFK)entwickelt. Er hat in den letzten dreißig Jahren seine Methode in mehr als zwei Dutzend Ländern an Ausbilder, Schüler, Studenten, Eltern, Manager, medizinisches und psychologisches Fachpersonal, Militärs, Friedensaktivisten, Anwälte, Gefangene, Polizisten und Geistliche weitergegeben. Dabei werden vier Komponenten unterschieden:
"1. Beobachtungen: Zuerst beobachten wir, was in einer Situation tatsächlich geschieht. Was hören wir andere sagen, was sehen wir, was andere tun, wodurch unser Leben entweder reicher wird oder auch nicht? Die Kunst besteht darin, unsere Beobachtung dem anderen ohne Beurteilung oder Bewertung mitzuteilen - einfach zu beschreiben, was jemand macht, und dass wir es entweder mögen oder auch nicht.
2. Gefühle: Als nächstes sprechen wir aus, wie wir uns fühlen, wenn wir diese Handlung beobachten. Fühlen wir uns verletzt, erschrocken, froh, amüsiert, irritiert usw?
3. Bedürfnisse: Im dritten Schritt sagen wir, welche unsere Bedürfnisse hinter diesen Gefühlen stehen.
Das Bewusstsein dieser drei Komponenten ist uns gegenwärtig, wenn wir die GFK einsetzen, um klar und ehrlich auszudrücken, wie es uns gerade geht. Eine Mutter kann z.B. diese drei Bestandteile ihrem Sohn gegenüber ausdrücken, indem sie sagt: „Felix, ich ärgere mich, wenn ich zwei zusammengerollte schmutzige Socken unter dem Kaffeetisch sehe und noch drei neben dem Fernseher, weil ich in den Räumen, die wir gemeinsam benutzen, mehr Ordnung brauche.“
4. Bitten: Die GFK macht dann sofort weiter mit der vierten Komponente – eine sehr spezifischen Bitte: „Würdest Du bitte deine Socken in den Zimmer oder in die Waschmaschine tun?“ Dieses vierte Element bezieht sich darauf, was wir vom anderen wollen, so dass unser beider Leben schöner wird. Was kann er oder sie konkret tun, um unsere Lebensqualität zu verbessern?
So besteht die eine Seite der GFK darin, diese vier Informationsteile ganz klar auszudrücken, mit Worten oder auf andere Weise. Auf der anderen Seite nehmen wir die gleichen vier Informationsteile von unseren Mitmenschen auf. Wir treten mit ihnen in Kontakt, indem wir uns darauf einstimmen, was sie beobachten, fühlen und brauchen, und wenn wir dann den vierten Teil hören, ihre Bitte, entdecken wir, was ihre Lebensqualität verbessern würde." (Auszug aus Mashall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommnikation: Eine Sprache des Lebens)
Wir plädieren als Redaktion des "neuen Hippokrates" dafür, dass die gewaltfreie Kommunikation in der Schule, im Medizinstudium und in der Spezialisierungsphase zum Facharzt eingebaut wird, damit das Miteinander angenehmer wird.
Kooperation statt Sozialdarwinismus haben wir einen Artikel vor einiger Zeit genannt. Eine gelebte gewaltfreie Kommunikation wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Literatur:
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation - Eine Sprache des Lebens