W E R B U N G
Gesundheitssystem fördert Abzocke





Die Bevölkerung erwartet von uns Ärzten, dass wir sie nach bestem Wissen und Gewissen behandeln, sie unabhängig von unserem Eigeninteresse und von Einflüssen der Industrie beraten. Doch ist das eine hehre Wunschvorstellung. Eine Hausarztpraxis, wie die in der ich angestellt bin, kann nur überleben, wenn sie Leistungen außerhalb der Patientenpauschale anbietet. Diese beträgt etwa 38 Euro pro Patient pro Quartal, für chronisch Kranke noch einmal 17 Euro zusätzlich. Damit ist dann aber auch alles abgedeckt, inklusive regulärer Hausbesuche und Konsultationen bei uns so oft der Patient es möchte. Im Schnitt geht der Deutsche 18 Mal pro Jahr zum Arzt, davon etwa 7 Mal zum Hausarzt. Und da sind die vielen Patienten mit eingerechnet, die gar nicht kommen und mit denen der Arzt auch kein Geld verdient.

„Wir müssen mindestens vier Check ups pro Tag machen“, sagte mein Chef neulich zu uns. Nur dann stimme die Kasse. Doch die Checks, die sogenannte Gesundheitsuntersuchungen, die ab dem vollendeten 35. Lebensjahr alle zwei Jahre möglich sind, sind durchaus umstritten. Sicherlich gibt es den einen oder anderen Zufallsbefund, doch ist es recht zweifelhaft, gesunde Patienten ohne jegliches Symptom nach Schema F zu untersuchen, ohne konkret nach etwas zu suchen. Da werden Individuelle Gesundheitsleistungen (IGEL) verkauft, wie die Blutuntersuchung, über das von der Kasse getragene Cholesterin und den Blutzucker hinausgehend. Dem Patienten wird suggeriert, er sei damit auf der sicheren Seite, wenn wir ihm Blut abzapfen und ein Routineprofil anfertigen lassen. Zwischen 19 und 35 Euro legt der Patient dafür auf den Tisch. Im Medizinstudium haben wir gelernt, dass wir Blutanalysen nur dann anfertigen sollen, wenn ein konkreter Verdacht besteht und ein Screening ohne Anlass nicht sinnvoll ist.

Ähnlich verhält es sich mit Impfungen die separat bezahlt werden. Daher impfen die meisten Ärzte, so auch wir, was das Zeug hält. Eine Sache ist die Pneumokokkenimpfung, also die Impfung „gegen die Lungenentzündung“ als die sie gerne verkauft wird, obwohl sie lediglich gegen einen von vielen Erregern der Lungenentzündung, die Pneumokokken, hilft. Leitlinien aus dem Jahr 2009 sagen ganz klar, dass bestimmte, definierte Risikogruppen nur noch einmal im Leben und nicht wie vorher alle 6 Jahre geimpft werden sollen. Nur Patienten mit einer gravierenden Nierenschwäche und Patienten mit einer Erkrankung des Immunsystems sollen eventuell eine zweite, im Extremfall auch eine dritte Impfung erhalten. Doch wurde bei uns in der Praxis Pneumokokkenimpfstoff gefunden, der kurz vor dem Verfallsdatum ist. Um diesen noch abrechnen zu können wurde eine Vielzahl an Patienten gegen Pneumokokken geimpft, obwohl dies nach den Regeln der Kunst nicht zulässig war.

Auch mit der „Grippespritze“ wird Schindluder getrieben. Natürlich gibt es die Influenza, die schwer verlaufende Virusgrippe. Doch ist das nicht jeder Infekt, der im Volksmund „Grippe“ genannt wird. Parainfluenzaviren, Haemophilus influenza, Adenoviren, Rhinoviren und viele anderen Erreger lösen Symptome einer Erkältung aus. Aus Marketinggründen wird jedoch in Deutschland so getan, als verhindere man mit einer Grippeimpfung diese unangenehmen Symptome der kalten Jahreszeit. Das ist unlauter und dient lediglich dem Portemonnaie von Ärzten und Pharmaindustrie. Selbstverständlich gibt es wohl definierte Gruppen, wie die über 60ig-Jährigen und chronisch Kranke Patienten mit zum Beispiel Asthma bronchiale, Herzerkrankungen und Diabetes mellitus, die gegen Grippe geimpft werden sollten, da diese für sie unter Umständen gefährlich werden könnte.

Der beste, sprich lukrativste Patient ist der, der genau einmal im Quartal kommt, keine Medikamente auf Kassenrezept braucht und maximal viele Leistungen außerhalb des Budgets sowie private Leistungen (IGEL) in Anspruch nimmt. Doch die Ärzte können nichts dafür. Als Kassenärzte arbeiten sie in einem System, das ihnen das überleben nur dann ermöglicht, wenn sie mit Zusatzleistungen und Privatpatienten Geld verdienen. Eine Kassenpraxis trägt selbst mit den sogenannten extrabudgetären Leistungen wie Impfungen und Check ups und zusätzlichen Blutuntersuchungen gerade mal so sich selbst. Die Privatpatienten sind es, mit denen der Arzt den Gewinn und praktisch sein eigenes Gehalt zum Leben erwirtschaftet.

In anderen Ländern, wie in den Niederlanden und Großbritannien, sind die Patienten bei einem Hausarzt eingeschrieben. Dieser bekommt Geld für ihn, auch wenn der Patient gesund ist und ihn nicht aufsuchen muss. Zusatzuntersuchungen sind häufig nicht notwendig. In England werden sogar Flugzettel verteilt, dass man mit einer einfachen Erkältungsgrippe bitte nicht in die Praxis kommt, sondern sich selbst mit Hausmittelchen und Ruhe therapiert. Während in Deutschland die Patienten mit Erkältungen mit den schwer kranken zusammen im Wartezimmer sitzen, sich gegenseitig anstecken und für lange Wartezeiten sorgen, meist auch, um eine Krankmeldung zu bekommen, wird das in den Niederlanden und Großbritannien unkomplizierter geregelt. So muss sich der Arbeitnehmer erst nach 2 Wochen Kranksein krankschreiben lassen, in England erst nach 1 Woche. In Holland übernimmt die Krankschreibung dann auch nicht der Hausarzt, sondern ein spezieller arbeitsmedizinischer Dienst, der beurteilt, ob der Patient seine jeweilige Arbeit ausüben kann und wie lange das zu verantworten ist. In Deutschland würde es hier einen riesigen Aufschrei geben, die Patienten kämen nicht mehr zu den Ärzten, diese würden Geld verlieren. Und: Die Arbeitnehmer würde das schamlos ausnutzen und blau machen. Ist das so? Sehen wir doch mal, wie unsere Nachbarn in Europa das organisieren und viel weniger Probleme haben. Im Englischen gibt es nicht umsonst den Begriff der „German Angst“. Diese sollten wir dringend überwinden, Hausärzte je eingeschriebenem Patienten gut bezahlen, Zusatzleistungen weitgehend streichen und Krankmeldungen liberalisieren und von den normalen niedergelassen Ärzten auf Arbeitsmediziner übertragen. Dann hätten wir viel gewonnen.


Autor: Dr. Großes Rad





Kommentare zu dieser News:

Datum: Mo 04 Okt 2010 11:10
Von: der Landarsch


Als "Abzocke" würd ich das nicht beschreiben, denn die Ärzt bewegen sich ja voll in dem gesetzlichen Rahmen, den die Politik vorgegeben hat. Und die Politik wird bekanntlich von Politikern gemacht, die vom Volk gewählt wurden. Dass dies - bei Licht besehen - schwachsinnig ist, ist nicht die Schuld der Ärzte. Vielmehr leiden gerade die deutschen Ärzte unter diesen Arbeitsbedingungen.