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Das neue Versorgungsstrukturgesetz und die Folgen


Am 1.1.2012 tritt mal wieder ein neues Gesetz in Kraft, das die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung verbessern soll. Im Originaltext liest sich das wie ein Werbetext, der von einer Marketingagentur entwickelt wurde. Als junger Arzt, der sich gerade überlegt sich in einer Hausarztpraxis niederzulassen, fallen (...) mir aber gleich ein paar Punkte auf, die mich stutzig werden lassen.

Es wird davon gesprochen, die Überversorgung in den Städten abzubauen und dass die Kassenärztliche Vereinigung bei der Nachbesetzung von Kassenarztsitzen ein Vorverkaufsrecht habe. Die Kassenärztliche Vereinigung ist übrigens ein Teil der staatlichen Exekutive, also ein Amt und nicht eine Interessensgemeinschaft aller Kassenärzte, wie der Name suggeriert.

Übersetzt heißt dies, dass ich als junger Arzt zwar jemanden suchen kann, der seine Praxis abgeben will. Ich kann einen Verkaufsvertrag machen, dass er mir für zum Beispiel 100 000 Euro die Praxis überlässt. Übrigens ist die Immobilie nicht dabei. Es geht lediglich darum, dass er zu meinen Gunsten seine Kassenzulassung zurückgibt und mir sein mehr oder minder altes Inventar überlässt. Wert ist es das selten, aber man „kauft“ ja den Patientenstamm mit, heißt es dann immer, also übernimmt eine Praxis, die schon bekannt ist, zu der eine gewisse Anzahl von im Schnitt 900 Patienten gehen. Das ist der ominöse „ideelle Praxiswert“ – im Gegensatz zum Materiellen. Übernahmeverträge kosten Geld, denn sie müssen rechtlich wasserdicht sein. Also brauche ich einen Fachanwalt für Medizinrecht, der 400 Euro pro Stunde kostet. Ach ja, eine sehr interessante Praxis läuft nur über einen Vermittler, also einen Makler. Der will 5% des Verkaufspreises, sprich bei 100 000 Euro 5000 als Provision. Dann muss ich die Praxis renovieren und einige neue Geräte kaufen, wofür ich vielleicht noch mal 40000 Euro brauche. Für das Geld muss ich einen Bankkredit aufnehmen.

So, und nun kommt das neue Gesetz: Vorverkaufsrecht in überversorgten Gebieten. Verträge sind gemacht, Courtage ist bezahlt, Kredit aufgenommen. Doch die Kassenärztliche Vereinigung beruft sich auf den neuen Passus im Versorgungsstrukturgesetz und verhindert die Übernahme. Der Praxisbesitzer wird entschädigt, ich stehe dumm da, habe enorme Kosten und keine Praxis, muss mir schnellstmöglich überlegen, wo ich Arbeit finde, um mich zu finanzieren und die Kosten abzufedern.

„Gesundheitspolitisch ist es sinnvoll, die Überversorgung abzubauen. Das spart enorme Kosten“, sagt ein Kollege. Doch schauen wir genauer hin, so entsteht ein Mehr an Kosten nur dann, wenn der selbe Patient im selben Quartal zu mehreren Hausärzten geht. Alle Patienten, die dann noch mal 10 Euro an Gebühr bezahlen müssen, werden sich das gut überlegen. Allenfalls von der „Praxisgebühr“ befreite Patienten und Patienten unter 18 Jahren hätten da eine niedrigere Hemmschwelle. Insgesamt betrifft das nur einen kleinen Teil der Patienten.

„Dann geh’ doch aufs Land“, schreibt eine Kollegin, „da hast Du die Probleme nicht“. Ist es so einfach? Wir sind doch soziale Wesen in sozialen Strukturen, meist mit Familie dabei, mit einem Partner oder einer Partnerin, die ebenfalls berufstätig sind, mit Kindern, die in Kindergärten oder auf Schulen gehen, Freunde haben usw. Kann man da per Staatsdekret Ärzte einfach umverteilen? Und hat nicht jeder ein Recht zu entscheiden, wo er sich wohl fühlt, in der Stadt oder auf dem Land? Ist das nicht ein elementarer Teil unserer freien Selbstentfaltung? Ich selbst würde, wie auch meine Partnerin, auf dem Land eingehen ohne ein ausreichendes kulturelles Angebot, die Vielfalt und das Leben, das es in Städten gibt. Wenn ich vor die Entscheidung gestellt würde: Niederlassen in strukturschwachen Gebieten oder gar nicht niederlassen, würde ich vermutlich ins Ausland gehen oder mir einen Job in einer Rehaklinik suchen.

„Auch in Städten gibt es unterversorgte Gebiete. Dort, wo es soziale Brennpunkte gibt, will auch keiner hin“, sagt mir ein Kollege. „Es ist doch nicht sinnvoll, eine Überversorgung in einem Gebiet mit vielen Akademikern zu zementieren, während es gleichzeitig eine Unterversorgung in Gebieten mit vielen Migranten gibt“, argumentiert er weiter. Hinter allen Lösungsvorschlägen steht die Annahme, Ärzte könnten per Planwirtschaft gezwungen werden in unattraktive Gegenden zu gehen und sich dort niederzulassen. Wir leben doch in einer sozialen Marktwirtschaft, die seit Ludwig Erhardt als deutsche Wirtschaftsordnung gilt und 1990 im Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR festgeschrieben wurde. Hier frage ich mich, wo die marktwirtschaftlichen Anreize sind, sich dort niederzulassen, wo kaum jemand hin möchte. Eine Idee wären Vorteile bei der Abrechnung als Entschädigung für die vielen Kontakte mit Hartz-IV-Behörden, Arbeitsamt, Versorgungsamt, Gutachten, dem geringen Privatanteil und vielen weiteren Hemmnissen in sozial schwachen Gebieten. Ähnliches gilt für die Arbeit im ländlichen Raum. Marktwirtschaftliche Elemente müssen so stark eingebaut werden, dass die Ärzte freiwillig dort für eine Zeit arbeiten oder das eben bewusst trotzdem nicht tun. Dennoch muss auch in den Städten so viel Geld verdient werden können, dass es sich lohnt auch dort als Arzt zu arbeiten, nur vielleicht mit etwas geringeren Anreizen.


Autor: Christian Haffner