Die einzige Hausärztin im nördlichen Frankfurter Stadtteil Berkersheim, Erika Koenig-Dennerlein, hat vor gut einem Monat ihren Praxissitz in ein Medizinisches Versorgungszentrum im Süden nach Frankfurt am Main-Sachsenhausen verlegt. Das ist zu weit für die Patienten, um ihr zu folgen. Hausärzte in umliegenden Stadtteilen, die ebenfalls mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Berkersheim aus für ältere und gehandikappte Patienten schlecht zu erreichen sind, nehmen keine neuen Patienten mehr auf.
Die Lösung wäre es, einen Nachfolger für die berkersheimer Hausärztin zu finden. Doch hier stellt sich die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KV-Hessen) quer. Das Bedarfsplanungsgesetz von 1992 erlaube es zwar, einen Kassensitz innerhalb des großen Frankfurter Bezirks zu verlegen, aber bei Überversorgung eben nicht, einen zusätzlichen zu eröffnen. Der Gesetzgeber bessert hier gerade auf Bundesebene nach. So wurde am 1.12.2011 das Versorgungsstrukturgesetz im Bundestag verabschiedet, Mitte Dezember wird der Bundesrat abschließend darüber beraten und das Gesetz dann am 1.1.2012 wohl rechtskräftig werden. Dann würden die Bezirke vermutlich nach Postleitzahlen neu sortiert und kleiner werden, so Julia Plein vom Beratungsteam der KV-Hessen.
Bekanntermaßen herrscht ein Mangel an Hausarztnachwuchs. In ganz Deutschland gibt es Programme, um junge Ärzte für den Beruf des Hausarztes zu begeistern und die Versorgung sicherzustellen und zwar auf dem Land und in der Stadt. Zwar ist die Problematik der fehlenden Allgemeinärzte momentan besonders auf dem Land spürbar, es wird aber bei der derzeitigen Altersstruktur ebenfalls ein Mangel in den Städten prognostiziert. Die Player im Gesundheitswesen in Hessen haben erst jüngst den
„hessischen Pakt zur Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung“ ratifiziert.
Nun gibt es zwei junge, hochmotivierte Ärzte, die die Nachfolge von Frau Koenig-Dennerlein übernehmen würden, doch trotz des neuen Gesetzes von der KV-Hessen blockiert werden. „Die neuen Bezirke müssen erst noch entwickelt werden“, so Julia Plein von der KV-Hessen, „das dauert mindestens ein halbes bis ein dreiviertel Jahr“. Bis dahin könne man hier nicht helfen und werde nach bisheriger Gesetzeslage verfahren. Doch diese erlaubt nur den Aufkauf eines Kassenarztsitzes eines Hausarztes, der aufhört. Bezahlt wird dabei offiziell dafür, dass der Nachfolger bei Übernahme der Praxis nicht von null anfängt, sondern bereits in eine laufende Praxis mit Patienten einsteigt. Dies bezeichnet man als „ideellen Praxiswert“. Zusätzlich gibt es den „materiellen Wert“ der Einrichtung und der medizinischen Geräte, der aber bei einer Hausarztpraxis kaum ins Gewicht fällt. Momentan beträgt der Kaufpreis für einen Kassensitz ohne Immobilie etwa 50 000 bis 120 000 Euro.
Verlegt ein Arzt einen Kassenarztsitz, so geht der teure ideelle Praxiswert verloren, die Einrichtung kann er meist nicht mehr gebrauchen. Er fängt also bei Null an und soll nach dem jetzigen Vorgehen der KV-Hessen dennoch teures Geld dafür bezahlen, dass er Patienten versorgen darf. Rechtlich erscheint das bedenklich, denn die Kassenärztliche Vereinigung hat vom Gesetzgeber her den Sicherstellungsauftrag für die gesundheitliche Versorgung, das heißt, sie muss dafür sorgen, dass die Bevölkerung flächendeckend eine gute Gesundheitsversorgung bekommt. Hier wird ein strukturelles Problem sichtbar, das vornehmlich auf Traditionen fußt und Lösungen massiv blockiert.
Angesichts des neuen Versorgungsstrukturgesetzes wäre es sinnvoll, Übergangsregelungen für die Problematik der Unterversorgung vor Ort zu schaffen und schon jetzt übernahme- und niederlassungswilligen Ärzten zu helfen. Gleichzeitig ist der Gesetzgeber aufgerufen, der Kassenärztlichen Vereinigung mehr Handlungsspielraum einzuräumen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die KV nämlich als Körperschaft des Öffentlichen Rechts nur ein Teil der staatlichen Exekutive, also ein Amt, das sich streng an den Gesetzestext halten muss. Tut sie das nicht, haftet der Vorstand der KV-Hessen, also aktuell die Doktores Zimmeck und Zimmermann, mit ihrem Privatvermögen. Hier sollten wir uns nach nachhaltigen Lösungen im benachbarten Europa umsehen, um liberalere und damit flexiblere Strukturen zu etablieren.