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Abschaffung der ärztlichen Kunst
Die Bürokratie für die Ärzte solle reduziert werden, hieß es im Bundesgesundheitsministerium. Der Marburger Bund fordert dies schon lange. Doch wenn man mit Krankenhausärzten und niedergelassenen Ärzten spricht, ist davon nichts zu spüren. Gerade in den Kassen-Praxen ist der gläserne Arzt entstanden, muss jeder Handgriff dokumentiert werden, sind vielfältige Vorschriften einzuhalten. Wir sprachen mit einem Praxisarzt, der uns die Szenarien beschrieb. Am Ende des Tages müsse er sehen, dass sich die Arbeitszeiten am einzelnen Patienten nicht zu einer Zeit von über 12 Stunden aufaddiere. Dann drohten Kontrollen durch die Kassenärztliche Vereinigung (KV). Einmal sei ihm das schon passiert. Ein KV-Angestellter habe ihn fünf Tage lang mit der Stoppuhr bei der Arbeit begleitet und jeden Handgriff protokolliert. In einem Fall sei er für die Qualitätsrichtlinien zu schnell gewesen und habe einen Rüffel kassiert, er habe die Untersuchung in 10 statt 20 Minuten und folglich nicht richtig gemacht. Das sagt ein Nicht-Arzt, ein Bürokrat, einem Kinderarzt mit über 30 Jahren Erfahrung. Mehrfach habe er schon seine Honoraransprüche von einem Anwalt durchsetzen lassen müssen. Welch ein System ist dies, in dem die Verwaltungen die Macht über die Medizin gewonnen haben und den Ärzten ohne Konsequenz ins Gesicht sagen dürfen, die ärztliche Kunst sei „schon längst abgeschafft“, der Arzt sei „nur noch Leistungserbringer“. Seine Ultraschalluntersuchungen kann der Kollege nicht mehr abrechnen, die KV hat ihm einen Brief geschickt, dass nur noch Geräte mit einer höheren Auflösung, die viele Geräte nicht haben, als Kassenleistung gelten. Machen muss er sie trotzdem, hat Zeitaufwand, Personalkosten und Kosten für das Ausdrucken der Ultraschallbilder, ohne dafür eine Gegenleistung zu bekommen.
In den Krankenhäusern ist es nicht besser. Dort haben die Chefärzte nicht mehr das Sagen, sondern die Verwaltungsleitungen, Geschäftsführungen, Aufsichtsräte und Aktionäre. Die Chefärzte müssen Zahlen vorlegen, Benchmarks erfüllen, bekommen Medikamente aus Kostengründen gestrichen. Dass die medizinische Versorgung darunter leidet wird von vielen Ärzten in der Weiterbildung, dem Krankenpflegepersonal und den Patienten berichtet. Entlassungen kranker Patienten mit entgleistem Blutzucker im gefährlichen Bereich, Blutarmut, die eine Bluttransfusion notwendig machen würde sind nicht nur einmal vorgekommen. Von Todesfällen unversorgter Patienten mit akuter Magen-Darm-Blutung oder akutem Herzinfarkt wird von Insidern berichtet.
Schuld daran ist einmal die Überlastung der Ärzte und der Pflege durch eine zu rigide Personalpolitik der Krankenhausverwaltungen. Auf der anderen Seite ist durch die Einführung der Diagnosis related groups (DRGs) im Jahre 2004 eine möglichst frühzeitige Entlassung der Patienten für die Krankenhäuser lukrativ. Eine Neuaufnahme mit anderer Diagnose kann wieder abgerechnet werden oder das Bett wird für einen neuen Patienten frei. Doch die Krankenhausverwaltungen sind hier nicht alleine für diese Situation verantwortlich zu machen. Sie stehen unter enormen finanziellen Druck, ausgelöst durch die letzten Gesundheitsreformen, die wieder einmal nur Löcher stopfen und nicht den Patienten und Mitarbeitern im Gesundheitssystem helfen sollten.
Notwendig ist eine Abkehr von immer mehr Kontrolle, immer mehr Verwaltung und eine Rückkehr zur eigentlichen Arbeit der einzelnen Berufsgruppen im Gesundheitswesen. Wenn im ambulanten Sektor 50 Prozent der Kosten von überdimensionalen Verwaltungsstrukturen verschlungen werden, Krankenkassen Kompetenzzentren im eigenen Haus aufbauen und finanzieren müssen, wenn Kontrolle vor Vertrauen und guter Medizin geht, dann ist ein grundsätzliches Umdenken notwendig. Hier sind Verstrickungen zu lösen zwischen Politik und Wirtschaft, Medizin und Pharmaunternehmen, Eitelkeiten der einzelnen Ärztegruppen zu überwinden. Das Gesundheitswesen braucht neue Strukturen, in denen gegenseitiges Vertrauen und die ärztliche Kunst das momentan bestehende Misstrauen und die Kontrolle ersetzen. Dann haben wir die Möglichkeit im Schulterschluss und in Kooperation die momentanen Reibungsverluste im Kontakt miteinander in eine gute Medizin des gegenseitigen Respekts umzusetzen. Genau dies ist jetzt vonnöten.
Autor: Die Redaktion
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