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Hausärztenachwuchs vergrault


Hausärzte gelten häufig noch als Ärzte zweiter Klasse. Doch die fünfjährige Spezialisierung zum Facharzt für Allgemeinmedizin steht anderen Facharztweiterbildungen vom Aufwand her in nichts nach. Als Ärzte, die Überblick über das Gesamtbefinden und die Lebenssituation der Patienten behalten, könnten sie bei einer guten, strukturierten Weiterbildung als hochkompetente Ärzte eine zentrale Stellung im Gesundheitssystem einnehmen. Viel Geld könnte gespart werden. Denn Patienten würden nicht zwischen den Fachärzten hin- und hergeschickt, sondern, wenn nötig, gezielt zu Spezialisten überwiesen werden. Doch die neuesten Weiterbildungsordnungen der einzelnen Bundesländer für den Facharzt für Allgemeinmedizin bzw. Innere und Allgemeinmedizin bauen hier so viele Tücken ein, dass kaum noch jemand Hausarzt werden will und uns Ärzten in der Weiterbildung viele Steine in den Weg gelegt werden. Es entsteht der Eindruck bei uns angehenden Allgemeinmedizinern, dass die Weiterbildungsordnungen auf dem Reißbrett von Theoretikern entworfen wurden, die die Praxis nicht kennen oder berücksichtigen. Existentielle Probleme sind die Folge, Flucht in andere Facharztweiterbildungen, Berufswechsel oder Auswandern wird zur häufigen Lösung aus dem Dilemma. Da Rotationen durch die Fachgebiete nicht geregelt sind und die Bezahlung in dieser Zeit unzureichend ist, befindet sich der Weiterzubildende einen Großteil der Zeit auf Stellensuche und immer wieder in der Probezeit mit dem bekannten Rechteverlust. Dass der Begriff des „Hausarztes“ aus der hessischen Weiterbildungsordnung herausgenommen wurde, erscheint symptomatisch für den Umgang mit diesem Fachzweig und seinem Nachwuchs.


Ausbildung in den Nebenfächern kaum möglich

Im Unterschied zur Facharztweiterbildung anderer Fächer ist der angehende Hausarzt gezwungen, mehrfach seine Stelle zu wechseln, um Erfahrung in verschiedenen Fächern außerhalb der Inneren Medizin und der eigentlichen Hausarzttätigkeit zu sammeln, wie zum Beispiel in der Gynäkologie, der Orthopädie, der Neurologie, der Psychosomatik, der Kinderheilkunde. Doch dies ist in der Praxis kaum möglich, da viele Kliniken trotz der möglichen Förderung von 12 000 Euro pro Jahr pro Weiterzubildenden durch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) nur künftige Fachärzte für ihr eigenes Fach und keine künftigen Allgemeinmediziner einstellen. Facharztpraxen nehmen nur Ärzte in der Weiterbildung, die eine Förderung erhalten. Diese ist jedoch in den meisten Bundesländern auf zwei Jahre begrenzt und wird schon für die hausärztliche Tätigkeit benötigt. Denn auch dort gilt: ohne Förderung keine Stellen. Das führt dazu, dass häufig die einzige Ausweichmöglichkeit gemäß der Weiterbildungsordnung drei Jahre Innere Medizin und zwei Jahre hausärztliche Tätigkeit gewählt wird. Damit werden künftige Allgemeinmediziner herangezogen, die außer der Inneren Medizin und der Mitarbeit beim Allgemeinmediziner keine weiteren Kenntnisse erworben haben. Das führt zu einem beträchtlichen Kompetenzverlust. Nur Berlin hat im Alleingang dieses Jahr den alten Facharzt für Allgemeinmedizin wieder eingeführt und sich damit über den bundesweiten Konsens hinweggesetzt. Als weiteres Pflichtfach wurde die Orthopädie mit in die Weiterbildung aufgenommen. Leider gingen mit dieser Kehrtwende keinerlei Maßnahmen zur Vereinfachung der Weiterbildung einher.


Bezahlung geringer als Harz IV

Ein weiterer Hemmschuh ist die schlechte Bezahlung während der Praxisphase, die, von einigen ländlichen Gebieten einmal abgesehen, je nach Bundesland und Steuerklasse zwischen 1280 bis 1550 Euro Nettogehalt schwankt und damit für einen Alleinverdiener knapp unter der Hartz-IV-Grenze liegt. Davon müssen dann aber noch Kammerbeiträge und ärztespezifischen Versicherungen sowie zahlreiche teure Pflichtkurse bezahlt werden. Es ist kaum möglich, hiervon eine Familie zu finanzieren. Hessen, Baden-Württemberg und Niedersachsen schreiben eine etwas bessere Vergütung vor, die trotzdem teilweise von Weiterbildern nicht gezahlt wird oder die finanzielle Situation nur unwesentlich entschärft. Bei Wechsel einer Praxisweiterbildungsstelle kann in einigen Bundesländern das Recht auf Fördergeld gar nicht erst zu einer weiteren Weiterbildungsstelle mitgenommen werden, so dass man sich deshalb gegen eine schlechte Weiterbildung nicht durch einen Wechsel der Praxis zu Wehr setzen kann. Zudem kommt das Risiko hinzu, den gesamten Förderbetrag von etwa 50000 Euro, der während der zweijährigen Praxiszeit oft das einzige Gehalt darstellte, wieder zurückzahlen zu müssen, wenn man sich aufgrund von schlechten Arbeitsbedingungen für einen anderen Berufszweig entscheidet oder die Facharztprüfung nicht besteht.


Überhöhte Untersuchungszahlen

Eine weitere Schwierigkeit stellen die überhöhten Untersuchungszahlen dar, die von uns angehenden Fachärzten gefordert werden. So werden zum Beispiel für angehende Hausärzte 400-500 Sonografien des Abdomens, 200-300 Duplex-Sonografien der peripheren Gefäße und bis zu 150 Sonografien der Schilddrüse verlangt. Hier zählt nicht Qualität mit gutem Unterricht, sondern rein die formelle Anzahl der gemachten Untersuchungen, Diese werden dann in den Krankenhäusern oft von den Ärzten autodidaktisch mehr schlecht als recht erlernt, teilweise in der Freizeit oder im Urlaub. Gefälligkeitsunterschriften für die Kammer aufgrund der unrealistisch hohen Zahlen sind die Regel und machen die Ärzte in der Weiterbildung gegenüber Ärztekammer und Chefärzten erpressbar. Um diese Untersuchungen später abrechnen zu können, müssen für jede Ultraschall- und Duplexart weitere Zusatzqualifikationen bei der „Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin“ (DEGUM) erworben werden, um die Defizite der Facharztweiterbildung auszugleichen. Angehende Hausärzte müssen also die Untersuchungen doppelt machen: Für die Weiterbildung und für die DEGUM, um diese später über die Kassen abrechnen zu können. Hier muss auch die Frage nach der Praktikabilität gestellt werden: Eine Duplexsonografie beansprucht für einen Allgemeinmediziner bei seinen vielfältigen Aufgaben sehr viel Zeit, und nur Duplex der Beingefäße dürfen wir überhaupt abrechnen.



Recherchen, wo die geforderten Untersuchungszahlen herkommen, ergeben ein Bild, das nachdenklich stimmt. Nach langen und zähen Nachforschungen ist es uns gelungen, unter anderem ein Präsidiumsmitglied einer Landesärztekammer dazu zu bewegen, hier die Gründe zu nennen. Die Zahlen der sogenannten „Weiterbildungsinhalte“ seien frei erfundene Zahlen, die von etablierten Ärzten immer weiter erhöht würden, damit die Konkurrenz durch Nachwuchs nicht zu groß werde. Eine Definition, welche genauen Kompetenzen ein künftiger Hausarzt haben solle, um davon eine sinnvolle Weiterbildungsordnung abzuleiten, gebe es nicht und werde bisher von Standesvertretern auch vehement verhindert.



Statt sich auf das Erwerben von medizinischen Kenntnissen zu konzentrieren, verbringen wir einen Großteil unserer Zeit damit

· eine neue Stelle für den nächsten Weiterbildungsabschnitt zu suchen

· die praxisfernen, deutlich überhöhten Untersuchungszahlen gemäß der Weiterbildungsrichtlinien zu erfüllen (200-300 Duplex-Untersuchungen, 400-500 Sono-Abdomen, 150 Sono-Schilddrüse usw.);

· bei Bundeslandwechsel die bisherige Weiterbildung bei der Landesärztekammer des neuen Bundeslandes anerkennen zu lassen;

· Stellen zu suchen, die es erlauben, die eigene Familie zu finanzieren, was vor allem in der Praxiszeit ein Problem ist.


Weiterbildung zum Hausarzt attraktiv gestalten

Um den Facharzt für Allgemeinmedizin wieder attraktiv zu machen, muss schnell ein komplettes Umdenken seitens der Politik und der ärztlichen Selbstverwaltung stattfinden.

Dazu gehören:

· Schaffung einer Weiterbildungsordnung, die sich an den realistischen und praxisnahen Kompetenzen von zukünftigen Hausärzten orientiert

· eine drastische Senkung der geforderten Untersuchungszahlen bei hochqualitativer Anleitung

· Kontinuierliche Verbesserung der Weiterbildung in der Realität. Weiterbildung muss eine Bringschuld der Weiterbilder gegenüber den angehenden Fachärzten werden, ein strukturiertes Weiterbildungskonzept muss vorgelegt werden, Ärzte in der Weiterbildung müssen ihre Weiterbildungsstätte regelmäßig evaluieren, die Weiterbildungsermächtigung muss bei Nichterfüllung schneller entzogen werden

· ein Vertrag über die gesamte Weiterbildungszeit mit geregelter Rotation und einmaliger Probezeit am Anfang

· eine an den aktuellen Krankenhaustarifen angepasste Bezahlung über die gesamte Weiterbildungszeit

· Transparenz der Weiterbildungsausschüsse unter Beteiligung von Ärzten in der Weiterbildung der jeweiligen Fachgebiete

· bezahlbare Pflichtkurse während der Weiterbildung

· staatliche Förderprogramme für die Praxisphase statt Förderung durch Kassen und Kassenärztliche Vereinigungen, ohne Pflicht der Rückzahlung bei Nichtbestehen der Prüfung oder Änderung des Facharztziels



Innerhalb der letzten Monate wurde auch in der Presse schon angesprochen, dass es Pläne gebe, den ambulanten Sektor zu Gunsten von Medizinischen Versorgungszentren (MVZs) auszutrocknen. Diese sollen dann den Krankenhauskonzernen angegliedert und damit zentral besser steuerbar gemacht werden. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben in jüngster Zeit bereits in größerer Anzahl Zulassungen an die Konzerne verkauft. Wer sich in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin befindet, kann so den Umgang mit der Nachwuchsgeneration als politisch gewollt verstehen. Informationen, dass junge Allgemeinmediziner, so wie es derzeit in Brandenburg geschieht, aus Osteuropa angeworben werden, vervollständigen das Bild. Dass es aus medizinischer und ökonomischer Sicht ein großer Fehler wäre, nach Gewinnmaximierung strebenden Unternehmen, wie zum Beispiel Aktiengesellschaften, nun auch die Macht über unsere ambulante Versorgung zu geben, liegt auf der Hand. Hoffen wir, dass die Politik sich hier eines besseren belehren lässt, bevor es zu spät ist.

Dr. Christian Haffner, Frankfurt/M, und Dr. Marcus Schmidt, Berlin, sind Ärzte in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin


Autor: HaffnerSchmidt