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Wir leben nicht im luftleeren Raum


Uneingeschränkte Flexibilität wird heute häufig vorausgesetzt. Erst vor kurzem erhielt ich einen Anruf von einer Personalvermittlungsagentur auf meine Anzeige nach einer Stelle im Rhein-Main-Gebiet. „Wir haben da etwas für Sie“, begann das Gespräch und der freundliche Herr am anderen Ende der Leitung beschrieb mir die Stelle in allen Details, nur nicht an welchem Ort ich arbeiten sollte. „Das ist im Münsterland“, sagte er dann zögerlich und fügte schnell hinzu: „Aber Sie sind doch ohne Einschränkung flexibel, oder?“ Als ich dies verneinte wurde es auf der anderen Seite still. Nach einer Pause von einigen Sekunden verabschiedete sich mein Gesprächspartner schnell, „vielleicht hören wir uns in den nächsten Jahren ja mal wieder.“



Ähnliche Gespräche führte ich in den letzten Jahren des öfteren. Was dabei vergessen wird, ist, dass wir Menschen mit sozialem Netz sind, viele von uns Partner oder Familie haben. Im Unterschied zu anderen Berufen bezahlen uns die neuen Arbeitgeber weder die Kosten, die durch ein Bewerbungsgespräch entstehen, wie Fahrtkosten oder Übernachtung. Noch erhalten wir Geld für den Umzug. Auf der einen Seite wird beklagt, dass wir jungen Menschen immer weniger Kinder bekommen und die Renten sowie weitere Sozialkosten nicht mehr finanzierbar werden. Auf der anderen Seite werden wir nicht als soziales Wesen, sondern als Einzelwesen behandeln, die man beliebig je nach Bedarf umverteilen kann. Genau so läuft auch die Bedarfsplanung für Hausärzte. Dabei werden die wichtigsten Faktoren, den Menschen in all seiner Komplexität zu verstehen, die Gründe außerhalb des Berufes, nicht oder nicht genügend berücksichtig. Wollen wir eine nachhaltige gesellschaftliche Lösung, so müssen wir uns ein multidimensionales Bild von uns Menschen machen und danach Anreize setzen, wie wir das mit unserem Bedarf in Einklang bringen.



Es ist überhaupt ein Problem unserer aktuellen Gesellschaft, dass wir uns zu wenig um Gesamtbilder und um Kooperation kümmern und zu viel Einzelkämpfer sind. Jeder gegen jeden funktioniert auch in Körpern von Lebewesen nicht. Auch hier ist Kooperation gefragt. Die Lösung ist mehr Basisdemokratie, arbeiten mit der Bevölkerung, Kommunikation mit einander und Abschied vom obrigkeitsstaatlichen Denken, dass wir Deutsche noch tief in unserer Kultur verankert haben. Der Ruf nach dem Staat sollte einem aktiven Handeln weichen, Vorschläge zu machen, wie es besser gehen könnte. Hier müssen wir alle zusammenwirken. Jeder hat in seinem Aufgabengebiet Fähigkeiten, die wir brauchen. Hier müssen wir ansetzen, um unsere Gesellschaft zu erneuern und den momentan spürbaren Sozialdarwinismus in ein Zusammenleben und -wirken umzuwandeln, das nicht nur angenehmer, sondern auch effektiver ist.






Autor: Dr. Großes Rad