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Funktionärswesen und Neoliberalismus statt Widerstand


Schon seit vielen Jahren sinkt die Vergütung der niedergelassenen Ärzte ständig.Zum 1.1.2009 erwartete uns ein besonders harter Schlag – das so genannte Regelleistungsvolumen. Dieses gibt den Höchstbetrag vor, den ein Arzt innerhalb von 3 Monaten für seinen Patienten bezahlt bekommt. Ein Hausarzt bekommt beispielsweise in Baden-Württemberg nur noch 35,86 pro 3 Monate, also weniger als 12 Euro im Monat für die Rundumbetreuung seiner Patienten. Dieser Betrag schließt fast alles ein: Gespräche, Hausbesuche, körperliche Untersuchungen, Spritzen, Infusionen, Blutentnahmen, EKGs und vieles mehr. Es handelt sich um ein „All you can eat“ – System: die Kasse zahlt einmalig 35,86 € und der Patient kann dann 3 Monate lang beliebig viele Leistungen seines Arztes in Anspruch nehmen. Dieser Betrag ist allerdings nicht das Gehalt des Arztes, sondern nur sein Umsatz. Er muss davon auch seine Arzthelferinnen bezahlen, die Praxismiete, Wartungen seiner Geräte und Praxissoftware, Energie, sein Dienstauto und tausend Dinge mehr.

Nur wenige Leistungen werden extra zum Regelleistungsvolumen bezahlt, zum Beispiel gibt es 10 Euro für eine Impfung inklusive Impfberatung und 8 Euro für eine Ultraschalluntersuchung der Schilddrüse inklusive Dokumentation und Beratung des Patienten. Um einen Ultraschall durchführen zu können, muss man allerdings zunächst ein Ultraschallgerät für 20.000 Euro kaufen und teure Wartungsverträgeunterschreiben. Jedem Betriebswirtschaftler stehen bei solchen Zahlen die Haare zu Berge und so ist es kaum verwunderlich, dass junge Ärzte, sofern sie sich überhaupt noch niederlassen wollen, kaum noch Banken finden, die ihnen Kredite geben. Ein Freund von mir erhielt letztes Jahr seinen Kredit nur deshalb, weil er die Bank überzeugen konnte, in einem Stadtviertel mit überdurchschnittlich vielen Privatpatienten praktizieren zu wollen.

Viele von uns haben das Gefühl, die Praxen werden bewusst in den Ruin getrieben, um ihre Übernahme durch Großkonzerne wie die Rhön AG, in deren Aufsichtsräten viele Politiker sitzen, vorzubereiten. Diese Konzerne würden dann an zentralen und lukrativen Orten so genannte MVZs – Medizinische Versorgungszentren – gründen, in denen die Ärzte als Angestellte arbeiten. Der Arzt als Freiberufler würde dann ebenso der Vergangenheit angehören wie die wohnortnahe Versorgung der Patienten.

Viele ältere Kollegen zehren noch vom in den fetten Jahren Ersparten, denken sich „Augen zu und durch“ und sehnen sich nur noch nach der nahen Rente. Bei den Jüngeren hingegen müsste eigentlich die Wut kochen, wir müssten täglich vor den Ministerien demonstrieren und eine Zukunftsperspektive einfordern. Doch leider sind wir Ärzte folgsame Einser-Schüler, wir machen keine Revolution, sondern dass was man uns sagt bzw. was unseren Patienten dient. Anstatt auf die Barrikaden zu gehen lassen wir uns an einem so genannten „Protesttag“ in Bussen in eine Halle nach Stuttgart fahren, um den Reden von Funktionären und Politikern zu lauschen, die versprechen uns zu helfen, die sich in Wahrheit aber kaum von denen unterscheiden, die uns seit Jahren eine immer dünner werdende Suppe vorsetzen.

Am 11. März 2009 fand ein solcher „Protesttag“ statt. Eröffnet wurde er von Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg. Herr Baumgärtner war von 1993 bis 2004 in der KV (Kassenärztlichen Vereinigung) tätig, die letzten Jahre davon sogar als Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die KVen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, welche die Verteilung des Geldes der Krankenkassen an die einzelnen Ärzte regeln. Da er seine ambitiösen Pläne in der KV nicht erreichen konnte, gründete Baumgärtner 2003 den MEDI Verbund als Parallelorganisation, der von ihm nach Art eines absolutistischen Herrschers regiert wird. Als habe er nie in derselben gearbeitet, rief er, man habe genug von der planwirtschaftlichen KV und jetzt habe Baden- Württemberg die einmalige Gelegenheit, sich von dieser zu verabschieden.

Als nächstes trat sein Freund Dr. Berthold Dietsche aufs Podest, der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Landesverband Baden-Württemberg. Dietsche wetterte gegen Kassenärztliche Vereinigung (KV), SPD und CDU, die uns Ärzte zu Laborratten im Käfig sozialpolitischer Experimente machen würden. Doch zugleich betonte er, sein Verband habe in Form der Hausarztverträge bereits die Lösung parat. Bei diesen Verträgen ersetzt der Hausarztverband die KV und zahlt eine höhere 3-Monats-Pauschale an die teilnehmenden Hausärzte. Im Gegenzug müssen diese jedoch einen ganzen Teich voller Kröten schlucken – genannt seien nur die Bezahlung sämtlicher Laborkosten aus eigener Tasche und der Kauf eines Software-Ungeheuers namens Hausarzt plus, eines vom Hausärzteverband zusammen mit der Firma SAP entwickelten Praxisprogramms.

In der nächsten Rede wurden dann sämtliche Regeln des demokratischen Anstands durch pure Demagogie ersetzt: Der Orthopäde Dr. Norbert Metke, ehemaliger 2. Vorsitzender der KV Nordwürttemberg und jetzt Sprecher der „teilnehmenden Facharztverbände“ drohte, dass seine Mitglieder für die Beträge des Regelleistungsvolumens keine Leistungen mehr erbringen, keine Patienten mehr versorgen und keine Lehrlinge mehr anstellen würden. Die Gesundheitsministerin
Schmidt schädige durch ihren Zentralismus das Gesundheitswesen und träume von Polikliniken wie einst in der DDR. Der Gesundheitsfonds der Bundesregierung sei ein Projekt sozialistischer Umverteilung. Das von uns in Baden-Württemberg durch frühes Aufstehen erwirtschaftete Geld würde einfach in den Osten und in den durch SPD-Misswirtschaft verarmten Norden der Republik umgeleitet. Die Landesregierung habe uns durch Enthaltung bei der entsprechenden Abstimmung im Bundesrat verraten.

Durch die rhetorisch sehr gut gehaltene Rede waren viele der 8000 anwesenden Ärzte so aufgeheizt, dass die folgenden Worte des für die Landesregierung sprechenden Prof. Dr. Wolfgang Reinhart, CDU-Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, in einem gellenden Pfeiffkonzert untergingen. Herr Reinhart versuchte sich dadurch beliebt zu machen, dass er sagte, sein Bruder würde als Augenarzt auch unter dem Regelleistungsvolumen leiden. Zudem hätte sich die Landesregierung nicht enthalten: im Bundesrat könne man lediglich als Zustimmung zu einem Gesetz die Hand heben. Wenn man dies nicht tue, käme dies einer Ablehnung gleich. Doch seine Worte wurden kaum gehört und nach der Rede verlies er im Laufschritt den Saal, durchquerte die wütende Menge und bereute wahrscheinlich, keinen Bodyguard mitgebracht zu haben.

Taktisch geschickt durfte als nächstes der Zahnarzt Dr. Ulrich Noll, Vorsitzender der FDP/DVP-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg die Position seiner Partei darlegen. Obwohl aktuell an der Landesregierung beteiligt, stellte er seine Partei als große Alternative zur herrschenden Gesundheitspolitik dar. Die FDP sehe das Kostenerstattungsprinzip als Allheilmittel. Demzufolge soll der Patient für jede Leistung eine Rechnung vom Arzt erhalten und diese dann bei seiner Kasse einreichen. Dies würde eine klare Verantwortlichkeit aller Beteiligten mit sich bringen.

Der Gesundheitsfond führe hingegen zum zentralisierten staatsgesteuerten Einheitskrankenkassensystem und sei ein Ausdruck von politischer Demenz. Anstatt einer weiteren Partei die Möglichkeit zu geben, ihre Gesundheitspolitik
vorzustellen, kam noch ein weiterer FDP-Politiker ans Mikrofon, der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Daniel Bahr. Dieser, in seinem Äußeren an einen jungliberalen Abiturienten erinnernder Nachwuchspolitker blies ins selbe Horn wie seine Vorredner und geißelte die „sozialistische“ Politik der Bundesregierung.

Dann kam, als einziger Lichtblick des Nachmittags, die Vertreterin der Patienten Renate Hartwig, Autorin und Journalistin sowie Initiatorin von www.patient-informiert-sich.de zu Wort. Sie brachte ihre Solidarität mit den Ärzten zum Ausdruck, hielt uns vor Augen, dass wir durch die Vorgaben der KV unseren Status als freie Berufsgruppe schon lange verloren hätten und dass wir nur Bauern auf dem Schachbrett von KV-Fürsten, Kassen und Politikern seien. Sie beklagte die schlechte Darstellung der Ärzteschaft in der Publikumspresse („die fahren doch alle einen Porsche“) und vermutete dahinter eine gezielte Manipulation durch bestimmte
politische Gruppen. Sie betonte, dass die Patienten im selben Boot sitzen wie die Ärzte und keine Lust hätten, gemeinsam mit diesen unterzugehen. Sie unterstrich aber auch ihre Unabhängigkeit und dass sie sich nicht zu unserer Erfüllungsgehilfin machen lasse. Mit vereinten Kräften könnten Patienten und Ärzten hingegen jeglichen Politiker zu Fall bringen.

Das letzte Wort des Tages gehörte wieder Herrn Baumgärtner. Er stellte einen von ihm entwickelten Maßnahmenkatalog vor, der Praxisschließungen zu Quartalsbeginn
ebenso vorsieht wie die Forderungen nach dem Kostenerstattungsprinzip als Wahlmöglichkeit für alle Ärzte, mehr Geld für den ambulanten Bereich und den
Rücktritt der KV-Spitzen. Dieser Katalog wurde von der Mehrheit der 8000 Ärztedurch Heben einer zuvor ausgeteilten gelben Karte angenommen. Andersfarbige Karten suchte ich leider vergeblich.

Mein Gefühl am Ende der Veranstaltung war eine Mischung aus Ohnmacht und Wut. Immer wieder ging mir die Frage durch den Kopf: warum gründen wir Ärztinnen und Ärzte nicht eine wirklich demokratische Genossenschaft um unsere Interessen zu vertreten, anstatt nach dem Weggang der alten Rattenfänger gleich den nächsten hinter her zu rennen?


Autor: Dr. Heuteufel





Kommentare zu dieser News:

Datum: Mo 16 Mär 2009 11:13
Von: der Landarsch


Als vor etwa 5 Jahren bei der KV-Mitgliederversammlung einer bayerischen Regional-KV gefragt wurde wenn es in Bayern eine Organisation wie z.B. Medi gäbe wer würde Mitglied werden wollen gingen sofort mit 2-3 Ausnahmen alle Hände hoch immerhin ca 400 bayerische Kassenärzte.
Auf die zweite Frage wenn diese Organisation dann ein Korbmodell mit 80 einrichten würde d.h. dass die Ärzte sich verpflichten ihre Kassenzulassung zurückzugeben wenn 80 aller Ärzte dies erklären würden wer wäre dann dabei nur 4 von etwa 400
Wir brauchen keinen starken Mann wenn wir dann nicht hinter ihm stehen Dass Baumgärtner der dies schon vor 10 Jahren erkannte bis heute - trotz seiner autoritären Führung - noch immer nichts bewirken konnten ähnlich wie andere weniger bekannte zeigt nur dass die Ärzte noch immer nicht bereit sind die einzige Konsequenz zu ziehen die dieses Problem lösen würde und auf das im übrigen auch die Politik insgeheim so krampfhaft hofft nämlich den Büttel hinzuschmeißen und die Kassenzulassung zurückzugeben
Wer die Geschichte der Revolutionen ansieht muß - leider - erkennen dass jede Revolution immer autoritär losgegangen ist und sich erst nach einiger Zeit auch mit dem Wechsel der Führungspersönlichkeiten demokratische Strukturen herausbilden konnten.