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Bürgerschulterschluss 2009 in München




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Zum zweiten Mal organisierte die Publizistin und Kämpferin für ein besseres Gesundheitswesen Renate Hartwig für den 13. September 2009 einen „Bürgerschulterschluss“ gegen den Ausverkauf des Gesundheitswesens. Etwa 22 000 Menschen versammelten sich von 13 bis 16 Uhr im Münchner Olympiastadion, um die Aktion von Frau Hartwigs Initiative www.patient-informiert-sich.de zu unterstützen. Zum Live-Video der Bürgerprotestbewegung gelangen sie hier.

Als erste Rednerin beschrieb Frau Hartwig die Folgen der Privatisierung des Gesundheitssystems anhand der Rhön AG. Dort gäbe es zum Beispiel für die Patienten keine Sterbezimmer. Es dauere zuweilen bis zu 12 Stunden, bis die Patienten aus dem Krankenbett, in dem sie verstorben seien, von der Pietät abgeholt würden. Kühlräume seien aus Kostengründen abgeschafft worden. Das Essen würde von einer Catering-Firma in schlechter Qualität geliefert, Hauptsache sei, dass es billig sei. Aus politischen Gründen würden die Ärzte kriminalisiert, denn „mit einem geschlagenen Hund wird man leichter fertig.“ Sie machte aufmerksam, dass jetzt genau das geschehe, was 1972 in Amerika unter Präsident Nixon passiert ist und zu viel Elend unter der Bevölkerung bis zum heutigen Tage geführt habe. Damals hatte der Unternehmer Edgar Kaiser als Inhaber von „Kaiser Permanente“ Nixon dazu bewegt, das Gesundheitswesen zu privatisieren. Obama habe jetzt viel Mühe, diesen fatalen Schritt rückgängig zu machen und eine solidarische Krankenkasse einzuführen. Auch berichtete sie von dubiosen Praktiken des Rhön-Konzerns. Verdi habe Patientenberichte über das zu Rhön gehörende Universitätsklinikum Gießen-Marburg auf seiner Homepage veröffentlicht, weil Rhön in die Kritik geraten sei, Patienten nicht richtig und mit schlechter Qualität zu versorgen. Das Portal wurde laut einer Verdi-Mitarbeiter geschlossen, „weil Rhön fies geworden ist.“ Dagegen müsse sich das Volk wehren und sagen „so nicht!“. Ein eigener Protestsong wurde von Karin Hanf und Annemarie Stumpf, die selbst in einer Praxis arbeiten, geschrieben und präsentiert, den sie hier ansehen können.

Als nächstes sprach der 1. Vorsitzende des Hausärzteverbands Bayerns und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes Dr. Wolfgang Hoppenthaller. Es komme durch die Privatisierung vermehrt zu sogenannten „blutigen Entlassungen“, das heißt, dass die Patienten noch nicht geheilt sind, wenn sie entlassen werden. Zudem werde der Personalschlüssel gravierend verkleinert, dass weder Pflegekräfte noch Ärzte ihre Arbeit in der zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen könnten und die Patienten nicht richtig versorgt werden könnten. Jetzt gehe es in den Privatkliniken, besonders bei Rhön, darum, was am meisten Geld bringe. Die Behandlung orientiere sich nicht mehr am Wohl des Patienten, sondern an den Möglichkeiten des Profits. Konzerneigene Medizinische Versorgungszentren (MVZs) kauften umliegende Arztpraxen auf, die unter der Regie des Konzerns nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu führen seien. Die einstmals von Staatsgeldern finanzierten Krankenhäuser zum Wohle der Bevölkerung würden jetzt an Konzerne verscherbelt, die damit Profit machten. Einsparungen für das Gesundheitssystem gebe es dadurch nicht, weil das eingesparte Geld den Aktionären als Gewinn ausgezahlt werden würde.

Die Rhön AG habe sich zum Ziel gesetzt, alle Krankenhäuser und Praxen sowie Eigentümer der Krankenkassen aufzukaufen und damit eine flächendeckende Vollversorgung zu etablieren. Kaschiert werden würde das mit dem verniedlichenden Begriff der „integrierten Versorgung“. Als Besitzer der Krankenkassen könne die Rentabilität der Patienten berechnet werden. Der Konzern könne dann mit sich selbst über die Honorare verhandeln. Gesetze würden schon jetzt hinter den Kulissen verabredet werden, ohne dass dies der Öffentlichkeit bekannt und diskutiert würde. Hoppenthaler: „Ein Orwell’scher Alptraum.“

Die Ärzteschaft solle durch Hetzkampagnen, wie jüngst die Vorwürfe der Bestechlichkeit, als kriminell stigmatisiert werden, um von den eigentlichen Zielen abzulenken. 200 Milliarden Euro jährlicher Umsatz im Gesundheitswesen wecke Begehrlichkeiten. Die Folgen würden wir gerade erleben und mit einem Blick in die Vereinigten Staaten von Amerika sehen, was uns drohe, wenn wir jetzt nicht aktiv würden.

Der nächste Redner war Dr. Eike Schäfer, Mitglied des "NotRufs113" und ehemaliger Mitarbeiter und Oberarzt in der Chirurgie und Unfallchirurgie am Universitätsklinikum Gießen-Marburg, das 2006 von Rhön aufgekauft wurde. Der "NotRuf113" ist ein Zusammenschluß von niedergelassenen Ärzten, Psychotherapeuten und Juristen und will die Öffentlichkeit auf die Folgen der Privatisierung hinweisen. Dr. Schäfer hatte früher als Krankenpfleger bereits seit Ende der 1970er Jahre dort gearbeitet und kennt das Klinikum daher seit 29 Jahren aus verschiedenen Berufsperspektiven. Zur Privatisierung sei es gekommen, weil das Land Hessen, die Mittelvergabe an Universitätskliniken geändert habe. Das Universitätsklinikum Gießen habe daraufhin nicht mehr saniert werden können und sei mit dem schwarze Zahlen schreibenden Universitätsklinikum Marburg verkauft und zusammengelegt worden. Er habe die Klinik Ende 2008 verlassen, weil er seine Patienten nicht mehr zu versorgen in der Lage gewesen sei, dass er es noch verantworten konnte. Nun sei auch die Ausbildung der Studenten in Gießen-Marburg in der Hand des privaten Rhön-Konzerns. Die Studenten würden nun nicht mehr im Fokus humanmedizinischer Ethik und bestmöglicher Therapieverfahren, sondern im Umfeld von Kosteneffizienz, Gewinndruck und Misstrauen ausgebildet. Daher sei die Uniklinik Marburg auch unter den deutschen Medizinstudenten von einem der vorderen Plätze auf einen der hinteren Plätze in der Beliebtheit abgerutscht.

Als niedergelassene Ärztin hat Frau Dr. Ulrike Kretschmann miterlebt, wie nach der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen-Marburg die Qualität der medizinischen Versorgung dramatisch abgenommen habe. Es sei eine Drehtürmedizin entstanden. Die Patienten würden schematisch nach Prozeduren abgearbeitet, die Geld bringen. Die Patienten würde zu früh entlassen, die gesundheitlichen Probleme seien oft nicht geklärt. Die richtige Diagnose würde oft erst bei Vorstellung in einer anderen Klinik oder bei Hausärzten oder Spezialisten gestellt werden. Die verzögere die Diagnosestellung und damit die Hilfe für den Patienten und führe unter Umständen zu nicht wieder gut zu machenden Schäden. Als Aktivistin des „NotRuf 113“ weist sie daraufhin, dass die Chefärzte des Rhönklinikums Marburg Giessen vor allem den Profit maximieren sollen. Sie fragt sich, ob das der Auftrag von Universitätskliniken sei. Als Beispiel der Verfilzung mit der Politik informierte sie, dass die Familie unseres Bundeswirtschaftsministers, die Familie zu Guttenberg Großaktionäre von der Rhön AG waren und Karl Theodor zu Guttenberg im Aufsichtsrat von Rhön tätig war.

Von christlicher Sicht hinterfragte Pater Dr. Karl Wallner von der Hochschule Heiligenkreuz bei Wien die Privatisierung des Gesundheitssystems. Könne man die Sorge um die Kranken zu einem profitablen Unternehmen machen? Die Geschichte der Medizin sei „Non-Profit pur“, die Nächstenliebe. Der christliche Geist sei die Sorge um die Kranken, Schwachen. „Christliche Liebe erwartet keinen Lohn.“ Die neoliberale Panik, in die die deutsche Regierung nun verfallen sei, helfe hier nicht. Sie führe zu einer Entpersonalisierung und Entsolidarisierung des Gesundheitssystems.

Frau Dr. Ilka Enger, 1. Vorsitzende des bayerischen Fachärzteverbands, entschuldigte sich beim Publikum, dass „wir Ärzte uns von den Konzernen haben abzocken lassen.“ Sie habe das auch erst zu spät verstanden, was hier passiere. Der Patient sei für die Privatkonzerne nur noch ein Werkstück, ein Faktor, der Geld bringe oder Kosten verursache. Die Rhön AG gebe auf ihrer Homepage www.rhoen-klinikum-ag.com/rka/cms/rka_2/deu/27455.html bereitwillig Auskunft über die Ziele. Es solle das Monopol über die Krankenversorgung erreicht werden. Ein Arzt im Umkreis von 80 Kilometern sei laut Rhön ausreichend. Über die Universitätskliniken werde jetzt auch Einfluss auf die medizinische Ausbildung genommen. Die Politik haben mit einer aufgeblasenen Bürokratie den Großkonzernen in die Hände gespielt. Die Verstrickung von Wirtschaft und Politik sei ein großes Problem. Zum Beispiel habe Bertelsmann bei Hartz-IV bis zu Gesundheitsreformen die Finger im Spiel gehabt, Politiker „beraten“ und Gesetze mit verfasst. Über die hauseigenen Medien werde die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Eine Diplomarbeit aus Bremen habe diese Zusammenhänge klar beleuchtet.

Als Vertreter der jungen Ärzte sprach Dr. Ulrich Geyer, 39 Jahre, Hausarzt, als letzter Redner. Er sei zum Heilen und Helfen angetreten. Für viele junge Ärzte sei der Beruf des Arztes auch heute noch eine Berufung. Die Politik wolle den jungen Ärzten die Ideale austreiben, indem sie ihnen Knüppel zwischen die Beine werfe. Er wolle kein Handlanger von Personalgesellschaften sein, kein Verkäufer von Gesundheitsleistungen, kein Verwaltungsbürokrat, sondern wieder wirklich Arzt. Die jungen Ärzte wollten den Patienten auf seinem Krankheitsweg begleiten, optimal behandeln, ihn nach allen Regeln der Kunst mit den sinnvollen Möglichkeiten der modernen Medizin versorgen. Regresse und unsinniges Qualitätsmanagement fördere die Softwareindustrie und nicht die Qualität. Die Bevormundung der Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen müsse aufhören. Es sei kein Wunder, dass 60% aller Medizinstudierenden ins Ausland gehen wollen. Hier sei eine Umkehr nötig.


Autor: Der Neue Hippokrates





Kommentare zu dieser News:

Datum: Mo 12 Okt 2009 11:59
Von: drgeldgier


Sehr guter Artikel - ich war auch dabei - hoffentlich ändert sich unter der neuen Regierung was zum Positiven
Herzlichst Dr. Geldgier
http://drgeldgier.wordpress.com/