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Bürokratismus in der Praxis


Das Ende des ersten Quartals 2010 rückt näher, in den Arztpraxen werden wieder die Abrechnungen für die Kassenärztlichen Vereinigungen vorbereitet. Doch das ist keine leichte Aufgabe. Als Arzt in Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin bezieht mich mein Weiterbilder in die sogenannten Fallprüfungen mit ein. Damit bekomme ich Einblick, was hinter den Kulissen und nach der Sprechstunde von den niedergelassenen Ärzten geleistet werden muss und woher der Frust der Kollegen kommt. Diesmal sind es etwa 500 Patientenfälle, die bei der Plausibilitätsprüfung auffallen. „Abrechnung fehlt“ oder „ICD-Schlüssel fehlt“ oder „Diagnose veraltet“ oder „Krankenschein fehlt“ erscheint. Auch bei einem Folgeschaden durch Frühgeburtlichkeit spuckt der Computer eine Fehlermeldung aus: „Diese Diagnose wird vor allem für Kinder im Alter von 0 bis 2 Jahren verwendet“, teilt er mir mit und verweigert diese Eingabe. Alternativen dazu gibt es nicht. Jeder Fehler muss per Hand in der elektronischen Patientenkartei korrigiert werden, sonst zahlt die Kassenärztliche Vereinigung kein Geld. Und die Diagnoseschlüssel im sogenannten ICD-10 Code werden auch immer mal wieder verändert. So wird eine Dauerdiagnose seit dem Jahr 2000 nun nicht mehr akzeptiert, da der Codierungsschlüssel von I 10 auf I 10.9 verändert wurde. Auch die akute Appendizitis, also der akute Blinddarm, heißt nun nicht mehr K35, sondern K35.9. Warum, frage ich meinen Chef. „Das haben sich Bürokraten ausgedacht, die die Realität nicht kennen“, antwortet er mir, und ich merke seinen Zorn auf das System, das ihm Kraft abzieht, die er anderweitig verwendet könnte.


Ein anderes Thema sind die 10 Euro, die irritierenderweise „Praxisgebühr“ genannt werden, so als bekomme der jeweilige Arzt das Geld. In Wahrheit ziehen die Krankenkassen für jeden Patienten, der in einem Quartal in der Praxis Patient waren, diese 10 Euro dem Arzt vom Honorar ab. Und zwar unabhängig davon, ob der Arzt die 10 Euro vom Patienten bekommen hat oder eben nicht. Hat eine Praxis zum Beispiel 1000 Patienten so werden 10000 Euro abgezogen. Wie der Arzt an der Geld kommt, wie er es verwaltet, was passiert, wenn es gestohlen wird das ist die Sache des Arztes. Für die Verwaltung und das erhöhte Risiko erhält der Arzt kein Geld. Und doch sind die Arzthelferinnen, die heute korrekt Medizinische Fachangestellte, MFAs, heißen, einen Großteil des Tages damit beschäftigt, die 10 Euro zu kassieren, die Kasse zu verwalten, Quittungen auszustellen und mit Patienten zu diskutieren, die nicht zahlen wollen oder können. Die Ärzte rennen gerade in den Altenheimen den Patienten und Angehörigen der Patienten hinterher, um das Geld einzutreiben, was viel Zeit und Kraft kostet. Diese zusätzliche Krankenkassengebühr mag ihren Sinn in der Steuerung der Patientenströme haben. Aber warum soll das Aufgabe der Ärzte sein? Und warum sollen die Ärzte diesen enormen Verwaltungsaufwand kostenlos betreiben? Diese Frage bleibt offen. Unser Vorschlag: Die Krankenkassen erheben den Zusatzbeitrag von 10 Euro, wenn ein Patient einen Arzt besucht und kümmern sich mit ihren riesigen Verwaltungsapparaten auch um das Inkasso der 10 Euro „Zusatzkrankenkassengebühr“. Denn das ist die Praxisgebühr in Wahrheit. Jedes Quartal könnten die Krankenkassen diesen Betrag zusätzlich zu den regulären Krankenkassenbeitragen von den Versicherten einziehen. Damit wäre allen geholfen, Patienten wie Ärzten.


Das Gesundheitssystem muss dringend entrümpelt werden, die Ärzte von Verwaltungsarbeit durch Krankenkassen und Abrechnungsstellen entlastet werden. Codierung und Abrechnung sollte Aufgabe zentraler Stellen und nicht der einzelnen Ärzte sein. Damit kann meiner Meinung nach junge Ärzten die Arbeit in einer Arztpraxis wieder schmackhaft gemacht werden. Momentan ist dieser aufgeblähte und sinnentfremdete Verwaltungsapparat ein massives Hindernis, diesen Job attraktiv zu finden. Ein Konzept, den Arztmangel, besonders in der Allgemeinmedizin zu beheben, muss dies aufnehmen und Alternativen aufzeigen.


Autor: Christian Haffner